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Fortbildung erfordert Aufmerksamkeit und genauen Blick - und Unterstützung: auf den Spuren Canalettos, ein Angebot des Erwachsenenbildungszentrums in Dresden.

Foto: epa/HIEKEL

Ein Piaac-Schock ist offenbar ausgeblieben. Nicht nur weil die Ergebnisse ja noch schlechter hätten ausfallen können oder weil nach den robust schlechten Pisa-Befunden nicht ganz überraschend ist, dass Österreich auch hier nicht in der Premium-League mitspielt.

Erhebliche Verwunderung löst jedoch die Rezeption und die inhaltliche Ausprägung der Reaktionen aus. Es irritiert, dass die wirklich überraschenden Befunde offenbar noch nicht einmal wahrgenommen wurden.

Piaac (Programme for the International Assessment of Adult Competencies) ist eine internationale Vergleichsstudie zu ausgewählten Kompetenzbereichen, die eine nachhaltige Teilhabe von Erwachsenen an modernen Gesellschaften befördern (Lesekompetenz, alltagsmathematische Kompetenz und Problemlösen im Kontext neuer Technologien). Lernen, so sagt uns eine nahezu ein­hundertjährige Diskussion, endet nicht mit der abgeschlossenen Erstausbildung. Vielmehr erstreckt sich das Lernen über die gesamte Lebensspanne. Im Piaac wurde das Leistungsniveau der 16- bis 65-jährigen Bevölkerung in den Blick genommen. Dennoch gleitet die Diskussion rasch in eine Schuldebatte ab oder in eine dar­über, welche formalen Bildungs­abschlüsse noch vergleichsweise hohe Kompetenzlevels mit sich bringen.

Aber was wären nun für eine umfassende Bildungspolitik bisher nicht beachtete Befunde?

1. Ein schon aus den Piaac-Vorgängerstudien bekanntes Phänomen, dass auch bei den vermeintlich höchsten formalen Abschlüssen, bei den Hochschulen, immerhin noch rund zwei Prozent der untersten Kompetenzstufe (im Lesen) zuzurechnen sind. Offenbar sind alle Bildungssektoren aufgerufen, ihre Qualitätsentwicklung konsequent voranzutreiben.

2. Knapp 62 Prozent der Personen mit niedriger Lesekompetenz (das sind in Österreich insgesamt immerhin 863.500 Menschen) sind erwerbstätig. Die Frage ist angebracht, wie lernförderlich konkrete Arbeitsumgebungen tatsächlich sind. Denn die Anzahl an Erwerbsjahren zeigt keinen positiven Effekt für die Kompetenzentwicklung. In einzelnen Gruppen (über 30-jährige Beschäftigung) und bestimmten Berufsfeldern ist sogar eine schleichende Dequalifizierung abzulesen. In keiner einzigen Berufsgruppe erzielen Österreichs Erwerbstätige signifikant bessere Leseleistungen als der OECD-Durchschnitt.

Andererseits gibt es in Berufsfeldern wie Dienstleistungen und Verkauf signifikant schlechtere Ergebnisse als in den entsprechenden Vergleichsgruppen im OECD-Durchschnitt. Demnach ist es nicht die Schule, sondern sind es die Betriebe, die hier systematische Kompetenzentwicklung bei ihren Beschäftigten voranzutreiben hätten.

3. Dem gegenüber liegen die 37.800 Arbeitslosen in der Risikogruppe nur geringfügig über dem durchschnittlichen Anteil an Ar­beitslosen in der Gesamtbevölkerung. Die größten Anteile bei den Arbeitslosen sind nicht in den untersten Kompetenzstufen zu finden, sondern in Stufe 2, wie insgesamt der mittlere Lesekompetenzunterschied zwischen Erwerbstätigen und Arbeitslosen bzw. Nicht-Erwerbspersonen relativ gering ausfällt. Daraus wären Schlüsse zu ziehen für die Qualifizierung von Arbeitslosen, aber auch hinsichtlich der Aktivierung von arbeitsmarktfernen Personen.

Weitere, geschlechtsspezifische Überraschungen, Fragen zur Wechselwirkung von (außerbetrieblicher) Weiterbildungsteilnahme nach Kompetenzniveaus, der Wirksamkeit der Förderpraxis in der Erwachsenenbildung und Arbeitsmarktpolitik etc. lassen sich künftig für Österreich nunmehr fundierter diskutieren. Vermeiden wir, dass die unbestritten bestehenden Baustellen im Schulwesen uns diesen Blick verstellen.  (Peter Schlögl, DER STANDARD, 12.10.2013)