Fast hätten 507 Millionen EU-Bürger es vergessen: Wir waren ein Jahr lang Träger des Friedensnobelpreises! Toll. Hat es was genützt? Nein. Wir sind – ob in Brüssel oder Athen – immer noch zerstritten darüber, mit ­welchen Mitteln wir den Krisen begegnen sollen, die nicht ­enden wollen, und in welche Richtung wir marschieren sollen, wenn sie einmal überwunden sind. Ach ja, immerhin einen Durchbruch haben wir erzielt, wenngleich einen fragwürdigen: Die Überwachung unserer Außengrenzen wird weiter verschärft. Waren wir also im vergangenen Jahr leuchtendes Vorbild und durchsetzungskräftiger Vorreiter für eine friedliche Welt? Mit Sicherheit nicht.

Ebenso eigenartig war die Auszeichnung von Barack Obama im Herbst 2009. Damals war der US-Präsident kaum ein Jahr im Amt. Die Vorschusslorbeeren waren nicht gerechtfertigt: Das US-Gefangenenlager Guantánamo ist auch heute, am Ende seines fünften Amtsjahres, nicht geschlossen; seine Geheimdienste brechen Gesetze fast nach Belieben; und die US-Justiz strengt mehr Strafverfahren gegen kritische Journalisten an als unter irgendeinem seiner Vorgänger in den letzten Jahrzehnten. Auch Afghanistan hat Obama leider nicht den Frieden gebracht, sondern im besten Fall dafür gesorgt, dass sich dessen Sicherheitskräfte nach dem US-Abzug Ende 2014 bloß ein paar Monate über Wasser halten können, bevor im Land mehr Chaos und Terror herrschen werden als vorher.

Jetzt also die OPCW, die in Den Haag ansässige internationale Organisation für das Verbot chemischer Waffen. Zwar ist der "umfassende Einsatz für die Vernichtung von Chemiewaffen" , so heißt es in der offiziellen Würdigung, in der Tat von großer Wichtigkeit. Aber wie so oft in den vergangenen Jahren macht das Nobelkomitee mit seiner Preisvergabe Politik – und zwar auf eine Weise, die man freundlichstenfalls unbeholfen nennen muss. Da hilft es wenig, wenn die Jury darauf hinweist, die Preisverleihung folge dieses Mal in ganz besonderem Maße dem ideellen Erbe Alfred Nobels, weil sie die Beseitigung von Massenvernichtungswaffen in den Vordergrund stelle. Bisher starben in diesem Bürgerkrieg mehr als 110.000 Menschen, und zwar zum allergrößten Teil durch die Gewalt konventioneller Waffen. Die Vergabe des Friedensnobelpreises an die Chemiewaffenkontrolleure verschiebt leider – möglicherweise unbeabsichtigt – die Perspektive. Der Frieden wird in Syrien nicht durch die Vernichtung von Chemiewaffen zu erreichen sein, sondern eher durch eine längst fällige gemeinsame Anstrengung der Weltdiplomatie.

Mit dem Preis für die OPCW signalisiert das Nobelkomitee, die internationale Kritik an seiner jüngsten Vergabepraxis nicht wirklich verstanden zu haben. Es mag ja durchaus Schlüsse gezogen haben, allerdings justament nicht die richtigen. Kein Wunder, dass ein Facebook-User große Zustimmung fand für seine Sicht auf das Thema: "Die Begründung für den Friedensnobelpreis ist oft schwerer zu verstehen als die des Physiknobelpreises." (DER STANDARD, 12.10.2013)