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Der Registan, zentraler Platz im antiken Samarkand, ist genau genommen ein Schulhof. Drei prächtige Medresen, also Koranschulen, rahmen ihn ein.

Foto: Matteo Carassale/Corbis

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Chiwa mit seiner mächtigen Mauer um die verwinkelte Altstadt bildet einen starken Kontrast zu den offenen Plätzen Samarkands.

Foto: Matthieu Paley/Corbis

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Weitere Bilder der Architekur Usbekistans gibt's in einer Ansichtssache.

Foto: Aldo Pavan/Corbis

Anreise: Flüge von Wien nach Taschkent zum Beispiel mit Turkish Airlines oder Aeroflot, immer mit einem Zwischenstopp.
Rundreise: SKR Reisen bietet zum Beispiel elftägige Rundreisen an. Richtpreis pro Person: 1800 Euro.
Info: Für die Einreise braucht man ein Visum: www.usbekistan.at.

Grafik: DER STANDARD

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Foto: foto: edu simões/the observer/the interview people

Nun starren sie alle auf die weißen Kenotaphe in der Mitte dieses hoch aufsteigenden Raumes. Dann auf einen schwarzen schmalen Stein, der aus dem marmornen Boden dieser Scheingräber aufzusteigen scheint. Ihre Augen glitzern vor Ehrfurcht – wie die von kleinen Kindern, die ungläubig auf die Geschenke unterm Weihnachtsbaum blicken.

Dennoch ahnen die Touristen vielleicht, dass es ihnen unter einem Herrscher, der solche Monumentalbauten im heutigen Usbekistan errichten ließ, nicht gut ergangen wäre. Aber Macht und Größenwahn sind anziehend. Egal, was man damit anrichten kann. Egal, welch düsterem Herz sie entspringen. Timur Lenk (1336-1405), besser bekannt als Tamerlan, war ein mächtiger islamischer Herrscher, der ein gewaltiges Reich mit Krieg und Grausamkeit eroberte und dabei an die Tore von Europa klopfte. Er hat sich ein mächtiges Grab errichten lassen: das prächtige Gur-Emir-Mausoleum in Samarkand, bei dessen Anblick den Menschen Anfang des 15. Jahrhunderts sicher die Knie zittrig wurden. Denn so etwas konnten nur Götter errichtet haben. Noch heute wirkt der Bau mit zwei Türmen und gewaltiger Kuppel wie das Bühnenbild für ein majestätisches Theaterstück.

Über Männern in westlichen Dreiviertelhosen, Frauen in bunten usbekischen Kleidern und Kindern, die entlang des Geländers laufen, wölbt sich eine gigantische Kuppel mit Ornamenten und Onyxfliesen. Ein Himmel aus Gold und Blau, in dem man sich verliert, je länger man in ihn hineinblickt. Jemand hat einmal gesagt, dass man unter solchen Kuppeln besonders gut Märchen erzählen kann. Also beginnt Ruhsched, der Reiseführer mit der eindringlichen Stimme, seine Geschichte.

Geist aus dem Grab

Am 22. Juni 1941 seien Archäologen aus Moskau nach Samarkand gekommen, das damals Teil der Sowjetunion war. An jenem Tag öffneten sie das Grab Tamerlans, entgegen den Warnungen der Bevölkerung. "Es ging die Legende um, dass der Geist des Krieges aus dem Grab steigen würde. Und genau das passierte. Was begann also an diesem Tag?" Fragende Blicke. "Der Überfall der Nazis auf die Sowjetunion. Aber die Geschichte geht noch weiter." Ein Raunen geht durch den hohen Raum. "Als die Deutschen vor Moskau und in Stalingrad standen, befahl Stalin, die Knochen von Tamerlan in ein Flugzeug packen zu lassen. Dieses flog schließlich den Frontverlauf ab. Kurz danach änderte sich der Kriegsverlauf zugunsten der Roten Armee. Der Geist des Kriegers hatte den Krieg entschieden." Ruhsched schaut ernst. Offene Augen, offene Münder. "Aus Dankbarkeit schickte Stalin eine Million Rubel nach Usbekistan für die Renovierung des Mausoleums." Kurze Pause. "Tja, so war das."

Man könnte diese Geschichte hinterfragen. Aber wir sind in Usbekistan, im Orient, im Land der Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Und Tamerlan hat offensichtlich auch Macht über Touristen. Denn die stiefeln sofort zum Eingang des Mausoleums, zum kleinen Souvenirshop mit der freundlichen jungen Dame. "Haben Sie Bücher über Tamerlan?" Die Dame zeigt auf Büchlein, DVDs, Postkarten. Usbekistans Nationalheld ist ein Verkaufsschlager.

Gemischte Mythen

Es ist nicht das einzige Mal auf dieser Rundreise durch Usbekistan, dass man das Gefühl hat, der Orient, seine Mythen und das sowjetische Erbe würden sich zu einer neuen Mischung vermengen. Was wohl typisch ist für ein Land, das in dieser Form erst seit 1991 existiert und das auf eine reiche, komplexe Geschichte und Kultur zurückblicken kann. Es war einst zentraler Bezugsraum wechselnder mittelasiatischer Reiche, Einflussgebiet der Perser, Araber, der Mongolen, des Zarenreiches und der Sowjetunion. Ein Gebiet, dessen Herrscher ihre Hände immer wieder auch nach Afghanistan, China und Indien ausstreckten.

Das Schau- und Wechselspiel islamischer Mächte hat seine Spuren hinterlassen. Unzählige üppige, vor Detailfreude überbordende Moscheen, Medresen und Minarette in Buchara, der alten Handels- und Oasenstadt Chiwa und auf dem erschlagend weitläufigen Registan-Platz in Samarkand zeugen davon. In den Neu- und Vorstädten dominieren dagegen sowjetische Wohnhäuser, alte Schigulis und Ladas sieht man auf den Straßen, und auf postsowjetischen Propagandaplakaten werden die Usbeken daran erinnert, wie erfolgreich ihre Sportler sind, wie reich ihre Geschichte ist.

Der Islam, der in Usbekistan Staatsreligion ist, zeigt sich als äußerst alltagstaugliche Variante. Verschleierte Frauen sieht man kaum. Die Männer mit ihren traditionellen Kopfbedeckungen, den Tjubetejkas, trinken vor dem Freitagsgebet gern Tee – und gleich nach dem Gebet aus denselben Tassen Wodka.

"Kommen Sie! Stoßen Sie mit uns an", sagt ein alter Mann mit goldenen Zähnen, während er sich in einem Restaurant in Samarkand auf dem Sitzbett, dem Tapcha, räkelt und genüsslich ein saftiges Stück Hammelspieß in den Mund schiebt. "Wir sind alle Gottes Kinder. Wir freuen uns über Gäste aus dem Ausland." Er heiße Rustam, sagt er auf Russisch. Natürlich könne er auch Usbekisch und Farsi, wie alle Usbeken. "Ich bin immer noch ein sowjetischer Usbeke. Aber mein Sohn, der ist schon usbekischer Usbeke, der zwar Russisch spricht, aber nicht mehr sowjetisch denkt. Zumindest sagt er das. Aber ich weiß genau: Auch er ist noch ein Sowjetmensch. Denn er will immer recht haben. Und er sucht sich die Leute, die ihm recht geben." Er lacht und erhebt seine Teeschale mit dem Wodka.

Goldene Erntezeit

Es ist Baumwollzeit. Auf den immerzu geraden, holprigen Straßen ruckeln Buskolonnen durch die Karakum- und Kysylkum-Wüsten. Baumwolle ist das wichtigste Produkt Usbekistans. Und weil es für die Wirtschaft so bedeutsam ist und der heutige Präsident des Landes, Islom Karimov, aus der einstigen Nomenklatura der Sowjetunion stammt – mit einem Herz für sozialistisch-autokratische Härte und sowjetische Riten -, müssen auch Studierende, als Dienst für das Vaterland, an der Ernte teilnehmen. "Studenten verstehen die Ernte als goldene Zeit ihrer Jugend", glaubt Ruhsched. "Denn so haben sie mal drei Monate, ohne dass die Eltern ihr Tun überwachen können." Dass man sich aus dieser Tätigkeit dennoch freikaufen kann, wenn man kann, ist der neuen Kreativität in der usbekischen Gesellschaft geschuldet.

Überall im Land wird gebaut. "Das staatliche Programm zur Verbesserung des Lebens auf dem Land" lässt allerorts Glas- und Stahlbauten entstehen, komplette Straßenzüge mit neuen Geschäften, Büro- und Wohngebäuden ausstatten. Aber Architektur allein schafft es nicht, dem Land ein neues Gesicht zu geben. Nirgendwo sonst in Usbekistan kann man dies so gut beobachten wie in der Hauptstadt Taschkent. 1966 von einem Erdbeben zerstört, erhielt die Stadt danach ja schon einmal ein neues Gesicht, eines im Sinne der sowjetischen Architektur. Aber der gewaltige Unabhängigkeitsplatz mit seinen etwas zu sauberen Grünanlagen, seinen etwas zu kitschigen Denkmälern und seinen etwas zu kaltbürokratischen Machtbauten zeugt davon, wie dieses Substrat der Vergangenheit nur in eine noch oberflächlichere Poparchitektur des Pomps mutierte.

Zauber und Bildung

Usbekistan hat sich in den vergangenen Jahren zur Destination für den europäischen Bildungsreisenden entwickelt. Die Besucherzahlen steigen stetig. 460.000 Touristen kamen 2012. Die meisten aus Frankreich und aus deutschsprachigen Ländern. Viele reisen entlang der alten Seidenstraße mit ihrem nostalgischen Orient-Zauber, der mancherorts wie etwa in Chiwa schnell wieder verfliegt. Zumindest dann, wenn Bildungsbürger hören, wie die dort herrschenden Emire ihre Feinde einst öffentlich massakrierten.

Es ist ein seltener, auch seltsamer Reiz, der das Reisen in Usbekistan überall begleitet: Dieses Land, das sich immer wieder im Wust seiner komplexen multikulturellen Geschichte verliert, ist gerade auf der Suche nach einer neuen Identität. Dabei sehnt es sich nach einer Stabilität, die sich wohl in der sehr langen Amtszeit seines Präsidenten Islom Karimov widerspiegelt. Das Wort "Stabilität" hört man immer wieder auf der Reise. Und häufig klingt es nicht wie eine Erklärung, sondern wie eine Entschuldigung.

Der Palast aus Stahl und Glas, den sich Karimov in der Nähe der Sommerresidenz des letzten Khans bei Buchara hat bauen lassen, wirkt jedenfalls sehr selbstbewusst, sehr stabil – aber auch verdammt einsam. Das hat der Bau mit den alten Machtarchitekturen der Timuriden, der Mongolen, der Emire, Khane und der Schaibaniden nicht nur oberflächlich gesehen gemein. (Ingo Petz, DER STANDARD, Rondo, 18.10.2013)

Weitere Bilder der Architekur Usbekistans gibt's in einer Ansichtssache.
Foto: Sascha Aumüller