Andreas Povel, Geschäftsführer der AmCham Germany, fordert langfristige Lösungen.

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Die Skulptur vor dem Kapitol in Washington: "Grief and History" - Kummer und Geschichte.

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Das Worst-Case-Szenario ist abgewendet. Um einen Zahlungsausfall der USA Ende Oktober zu verhindern, rauften sich Republikaner und Demokraten zu einem Kompromiss zusammen. Eine Entscheidung in letzter Minute, die erwartet worden war. Andreas Povel, Geschäftsführer der American Chamber of Commerce Germany (AmCham Germany), ist im Gespräch mit derStandard.at zuversichtlich, was die wirtschaftliche Zukunft Amerikas betrifft. Kurzfristige Pläne dürften langfristige wie die transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) allerdings nicht unterminieren und politische Querfeuer fundamentale Themen nicht verzögern.

derStandard.at: Zuletzt ging alles ganz schnell. Republikaner und Demokraten einigten sich darauf, die Schuldenobergrenze anzuheben. Experten hatten damit gerechnet. Warum also dieser Showdown rund um den Shutdown?

Andreas Povel: Die AmCham Germany hat den US-Budgetstreit relativ gelassen gesehen. Amerikanische Tochtergesellschaften in Deutschland und in deutschsprachigen Regionen, aber auch deutsche Unternehmen in Amerika konnten wir beruhigen. Warum? In der Historie taucht diese Shutdown-Situation immer wieder auf. Mitte der 1990er-Jahre dauerte sie mit 21 Tagen sogar länger als dieses Mal, Ähnliches gilt für die Situation im Jahr 1979, die ebenfalls zu keinem Drama geführt hat. Dramatisch war es 1812, als die Briten Washington eroberten. Aber das liegt ja schon einige Jahre zurück.

derStandard.at: Die Einigung in letzter Minute mutet nach Inszenierung an.

Povel: Das sind politische Spielchen zwischen den Parteien - auch in Hinblick auf die Mid-Term-Wahl kommenden Jahres. Die Spielchen der Blockade kennt man im Prinzip ja auch in Deutschland, davon ist die Welt noch nicht untergegangen.

derStandard.at: Würden Sie die 144 Republikaner, die gegen die im Senat ausgehandelte Einigung stimmten, als prinzipientreue Kämpfer oder politikunfähige Hasardeure sehen?

Povel: Meiner Meinung nach handelt es sich um eine stark rechts-orientierte Gruppierung, die, aus welchen Gründen auch immer, eine starke Meinungsmache betreibt. Der Chef der Republikaner, John Boehner, hat sich sehr diplomatisch verhalten, um die Tea Party und die Republikaner an einen Tisch zu bekommen. Die Diskussion wurde letzten Endes nicht zwischen Demokraten und Republikanern geführt, sondern die Republikaner hatten untereinander ein heftiges Abstimmungsproblem.

derStandard.at: Welche wesentlichen fundamentalen Themen sind durch die politischen Querfeuer bedroht?

Povel: Die kurzfristigen politischen Themen dürfen die langfristigen Themen weder überlagern noch verzögern. Dazu gehören die Gespräche über die transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP), ein Markt, der mehr als 50 Prozent des Bruttoinlandprodukts der Welt mit fast 60 Prozent der Weltkapitalisierung ausmacht.

derStandard.at: Weltbank-Präsident Jim Yong Kim erklärte in einer ersten Reaktion, die Weltwirtschaft sei dank der Einigung einer potenziellen Katastrophe entgangen. Stimmen Sie dem zu?

Povel: Nein. Hier werden große Szenarien ausgesprochen. Natürlich wurde in den USA mit dem Feuer gespielt, was zu einem Flächenbrand führen hätte können. Wir waren allerdings immer relativ konsequent optimistisch, dass in den USA Vernunft waltet. Es gibt zwei Dinge: Zum einen den materiellen Schaden. Dieser ist begrenzbar. Ob das Wachstum etwas nach unten korrigiert werden muss, ist eine Sache. Auf der anderen Seite hätten die Zinsen nach oben gehen können. Doch diese Dinge sind allesamt kurzfristiger Natur. Langfristig viel wichtiger ist, ob ein immaterieller Schaden - sprich ein Vertrauensverlust - da ist oder nicht. Dieser ist unserer Ansicht nach jedoch in keiner Weise eingetreten. Amerika ist und bleibt im Augenblick die größte Wirtschaftsnation mit einem vernünftigen Wachstum, liberalen positiv ausgestalteten Unternehmensregularien, und der Markt bleibt interessant, wie nicht zuletzt die enormen Investments aus Europa zeigen. Das westliche Wirtschaftssystem ist intakt, es darf aber nicht weiter geschwächt werden.

derStandard.at: Der Kompromiss sieht ein Übergangsbudget bis 15. Jänner vor. Ist damit die Blockade überwunden, oder geht das Theater dann von vorn los?

Povel: Es darf nicht zu einer Folge von permanenten Diskussionen kommen, wo man auf Dreimonatsbasis immer wieder in dieselbe Falle tappt. Es bedarf einer langfristigen Lösung. Obwohl das Budgetdefizit in den USA sehr hoch ist, ist es noch tragbar, weil die Wirtschaft in Amerika grundsätzlich gut wächst. Natürlich muss es aber auf lange Sicht reduziert werden. Dafür gibt es eine ganz klare Regel, gegen die allgemein und weltweit verstoßen wird: In guten Zeiten müssen die Ausgaben gesenkt, in schlechten die Ausgaben erhöht werden. Man kann einen halb genesenen Patienten, wie Amerika einer ist, nicht mit einer Ausgabenkürzung weiter schwächen. Das wäre eine Operation am offenen Herzen. (Sigrid Schamall, derStandard.at, 17.10.2013)