Klare Linien, schlichtes Design, edles Holz, feinstes Leder und enorme Beinfreiheit im Fond. Damit tritt die S-Klasse L das Maybach-Erbe an. Dazu gibt es 455 PS und ein Fahrwerk, das sich nicht überraschen lässt

Ein frisch gewählter Präsident kann nicht lästiger sein. Die schönste aller Frauen wetzt rechts hinten unruhig herum, spielt mit den Knöpfen der Sitzverstellung, jenen des Radios, versucht den Bildschirmen in den Kopfstützen vor ihr etwas Kurzweiliges zu entlocken. Weil ihr Letzteres nicht gelingt, fährt sie zur Entschädigung mit der Sonnenblende ein paarmal auf und ab.

Foto: Guido Gluschitsch

Sie, die immer mit Besteck isst und dafür doppelt so lange braucht wie jeder andere. Sie, die immer gepflegt auftritt. Sie, die immer weiß, wie man sich richtig benimmt, quengelt herum wie ein kleines Kind. Dabei verhält man sich in so einem Auto ganz anders.

Ein stattlicher Wagen wie die Langversion der S-Klasse verlangt nach weltmännischer Ruhe.

Foto: Guido Gluschitsch

Diese spiegelt sich schon im neuen Fahrwerk wider. Serien­mäßig ist in der S-Klasse die Luftfederung. Für den S 500 kann man aber auch das vorausschauende Fahrwerk "Magic Body Control"  ordern. Über zwei Kameras werden dann Bodenunebenheiten frühzeitig erkannt und das Fahrwerk schon vorab darauf eingestellt. Das hat dann was von einem fliegenden Teppich.

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Im Testwagen leider nicht an Bord – trotzdem gleitet man ganz gediegen über die Autobahn. Oftmals sogar ein wenig zu langsam. Hektik kommt in diesem Fahrzeug nicht auf. Man wird ruhiger, entspannter. Oder: Mann wird ruhiger. Die schönste aller Frauen quengelt nämlich weiter herum.

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Sie findet die Sitzheizung für die Fondsitze, die Armlehnenheizung für die hintere Reihe. Erzählt von einer Klimaanlage hinten, sogar von einer Sitzklimatisierung. Sie streicht über die Zierelemente auf der Tür. Pappel. Schwarz.

Auch vorne gibt es nur edelstes Holz und Leder, wie viel Raum.

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Inzwischen fährt der Stern fast von selbst. Seit wir auf der Stadtautobahn sind, durfte die Distronic übernehmen. Sie hält alleine Abstand, beschleunigt, wo es geht, der aktive Spurhalteassistent lenkt. Aber er will, dass die Hände auf dem Lenkrad bleiben. Sonst schimpft er. Man muss bei der Sache bleiben, auch wenn man nur beim Fahren zusieht und -hört. Die Anlagen in der S-Klasse sind der pure Wahnsinn. Die aus den beiden Endrohren hinten – und das Burmester Surround-Soundsystem mit zehn Lautsprechern.

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So gediegen gleiten wir übers Bandl. Die Schönste hat sich eingewöhnt und genießt inzwischen die Fahrt. Länge läuft eben.

Die 5,25 Meter können aber auch ganz schön viel werden. In einer engen Garage etwa. Und mit der Langversion gibt es nur enge Garagen. Oder bei der Parkplatzsuche. Da ist es schon gut, dass  der Testwagen selbst einparkt. Rundumsicht? Nicht wirklich.

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Bleibt bei der ganzen Noblesse im Innenraum und beim Fahren die Frage: Wozu hat der S 500 L ganze 455 PS? Zum Gleiten würden die 258 Pferde des 350 auch reichen.

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Trotz zwei Tonnen drängt das Flaggschiff nach vorne, als wäre es ein leichtes Sportcoupé. Es lenkt direkt ein, gibt trotz des Schmeichelfahrwerks viel Feedback über die Fahrbahn, Langstrecken verlieren an Schrecken. Tausend ­Kilometer auf der Autobahn schrecken im S 500 L niemanden. Egal ob hinterm Steuer oder im Fond. Am schönsten sind solche Distanzen in diesem Wagen natürlich auf leerer deutscher Autobahn. Aber man muss nehmen, was man vor der Haustür hat. Außerdem: So groß ist der Unterschied zwischen 130 und 200 km/h in diesem Auto eh nicht.

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"Kannst du mich morgen bitte zu meinem Termin bringen", säuselt die Schönste und blickt kurz vom Mobiltelefon auf. Anscheinend hat sie keinen Zug gefunden, der sie rechtzeitig hinbringt. Weit gefehlt. Beim Aussteigen ist klar: Sie surfte die Hutgeschäfte in Wien nach Chauffeurskappen ab. (Guido Gluschitsch, DER STANDARD, 18.10.2013)

>>> Zweite Meinung

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Zweite Meinung

Fünfeinviertel Meter Extraklasse. Selten war der Begriff Flaggschiff angebrachter. Neue S-Klasse. Was für ein Auto. Bringt heute schon Technologien, die morgen, eher übermorgen in Masse auftauchen werden. Wobei, so eine Luxuslimo, die alles kann und alles drin hat, macht gleich unbescheiden. "Was? Das vorausschauende Superfahrwerk hat der nicht an Bord?" , frugen etliche Standard-Kollegen. Nein, hatte der Testwagen nicht. Und gut so, da war die Aufmerksamkeit auf all die anderen Leckerlis nicht abgelenkt – und auf die grandiose Burmester-Anlage. Hört, hört! (stock)

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Hinweis im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Die Teilnahme an internationalen Fahrzeug- und Technikpräsentationen erfolgt großteils auf Basis von Einladungen seitens der Automobilimporteure oder Hersteller. Diese stellen auch die hier zur Besprechung kommenden Testfahrzeuge zur Verfügung.

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