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Mehr als 400.000 Zwangsräumungen zählen Betroffenenorganisationen seit Beginn der Krise 2007. Die Opfer sitzen auf der Straße und sind trotzdem hoch verschuldet.

Foto: AP/Kudacki

Überglücklich schwenkt María del Carmen Andújar das Symbol gegen die Zwangsräumungen von Wohnungen. "Ja wir können!" steht auf dem grünen Pappschild zu lesen. Die Mutter zweier Jugendlicher - 15 und 17 Jahre alt - und ihr Ehemann, hatten soeben erfahren, dass die Regionalregierung im südspanischen Andalusien ihre Zwangsräumung gestoppt hat.

Es war das erste Mal, dass die Koalition der sozialistischen PSOE und der postkommunistischen Vereinigten Linken (IU) ein erst im September verabschiedetes Gesetz über die "soziale Nutzung von Wohnraum" anwenden konnte.

Anstatt die Familie, die mit ihren Ratenzahlungen in Rückstand geraten war, wie üblich auf die Straße zu setzen, wurde der Eigentümer der Wohnung für drei Jahre enteignet. Es handelt sich dabei nicht um eine Person, sondern um einen Spekulationsfonds, der unsichere Kreditverträge von der größten spanischen Kasse, der katalanischen Caixa, aufgekauft hat.

"Das gibt uns Luft", jubelt Andújar. Sie verdient monatlich 420 Euro, ihre Kinder und ihr Mann sind arbeitslos. Die Stütze für ihren Gatten - 400 Euro pro Monat - läuft im Januar aus. Jetzt hofft Andújar, die fortan 25 Prozent ihres Einkommens als Sozialmiete abführen muss, dass sich in den kommenden drei Jahren die Situation der Familie verbessert und sie dann die Ratenzahlung wieder aufnehmen kann.

"Es wäre eigentlich die Aufgabe der Zentralregierung gewesen, für Gerechtigkeit zu sorgen und ein Gesetz zu erlassen, dass Schuldenfreiheit bei Rückgabe der Wohnung ermöglicht", verteidigt die Präsidentin der andalusischen Autonomieregierung, Susana Díaz Pacheco, die Entscheidung, den Wohnungseigentümer zu enteignen.

In vielen Ländern ist dies der Fall. Nicht so in Spanien. Wer die Wohnung verliert, bekommt nur einen Schätzwert von seinen Schulden abgezogen. Bleibt ein Rest - was dank der geplatzten Spekulationsblase fast immer der Fall ist - muss diese Differenz weiter abbezahlt werden.

Verschuldet und obdachlos

Mehr als 400.000 Zwangsräumungen zählen die Betroffenenorganisationen seit Beginn der Krise 2007. Die Opfer sitzen auf der Straße und sind dennoch hoch verschuldet. Die Konservativen unter Mariano Rajoy, die in Madrid regieren, haben bisher daran nichts Wesentliches geändert.

Es ist bereits das zweite andalusische Gesetz, das Familien vor der Ausgrenzung durch Wohnungsverlust schützen soll. Das erste vom vergangenen April wird derzeit auf Antrag der konservativen spanischen Zentralregierung vor dem Verfassungsgericht verhandelt. Am Tag nach der Enteignung von Huelva wurden Stimmen laut, die auch das neue Regionalgesetz stoppen wollen.

Auch aus Brüssel kommt immer wieder Stimmen zum andalusischen Gesetz. Zuletzt erklärte ein Sprecher der EU-Kommission, dass die Troika aus Kommission, Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds überprüfen werde, in wieweit das Gesetz mit der Bankenrettung vereinbar sei.

Der Schuldenberg Spaniens wird in zwei Jahren voraussichtlich größer sein als die gesamte Wirtschaftsleistung des rezessionsgeplagten Landes. Die staatliche Schuldenquote werde voraussichtlich 2015 und 2016 mit jeweils gut 101 Prozent ihren vorläufigen Höhepunkt erreichen, erklärte die Regierung in Madrid am Donnerstag. (Reiner Wandler aus Madrid, DER STANDARD, 18.10.2013)