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Im Morgengrauen nach der Schlacht ums US-Budget konnten Jogger die Stufen zum Lincoln Memorial wieder emporlaufen. Auch die Regierungsbeamten kehrten an ihre Arbeitsplätze zurück, Amerika ist wieder geöffnet.

Foto: EPA/Reynolds

Irgendwie ließen die Worte John Boehners an eine Filmszene denken, als hätten tapfere Pioniere des Westens ihre Wagenburg wochenlang gegen eine erdrückende Übermacht verteidigt, ehe sie kapitulierend die weiße Flagge hissten.

"Wir waren die Guten in diesem Kampf. Wir haben ihn nur nicht gewonnen", sagte der Speaker, der Vorsitzende des Repräsentantenhauses, einem Radiosender in seiner Heimatstadt Cincinnati. Prompt erntete er heftigen Widerspruch, und zwar nicht nur aus den gegnerischen Reihen. John McCain, noch immer ein Schwergewicht des konservativen Establishments, verglich die melodramatische Analyse mit dem Realitätsverlust jenes Generals, der seine Kavalleristen 1876 in fataler Selbstüberschätzung in die Schlacht gegen die Sioux am Little Bighorn River führte, wo die Indianer sein Regiment vernichtend besiegten und George Armstrong Custer selbst starb. "Oh nein, das war ein schlechter Kampf", belehrte McCain den Parteifreund. "Ich denke, wenn General Custer überlebt hätte, hätte er das Gleiche behauptet wie John."

Es ist der Tag nach dem Ende des Schuldendramas, und Boehner rückt massiv in die Kritik. Was er denn erreicht habe mit seiner Brechstange, will Lindsey Graham wissen, ein Senator aus South Carolina. Hätte sich der Speaker von den Maximalisten nicht zu einem solchen Vabanquespiel hinreißen lassen, hätte er vernünftiger verhandelt mit dem Weißen Haus, hätte er sicher mehr erreicht als "diesen Witz". Es gibt konservative Strategen, die nicht nur von einem verlorenen Gefecht sprechen, sondern tiefe Kratzer am Image befürchten, die sich bei der Kongresswahl im nächsten Herbst in Sitzverlusten niederschlagen könnte. In den Umfragen des Gallup-Instituts sind die Sympathiewerte der Grand Old Party seit Beginn des Regierungsstillstands am 1. Oktober um zehn Punkte gepurzelt - auf das Rekordtief von 28 Prozent, während die Demokraten zwar auch Federn lassen mussten, aber nicht derart drastisch. Kein Wunder, dass ergraute Parteigranden von naiven Dilettanten am Verhandlungstisch sprechen.

Ursprünglich wollte die Tea-Party-Bewegung mit der Haushaltsblockade erzwingen, dass die Gesundheitsreform um ein Jahr verschoben wird. Was sie heute vorzeigen kann, grenzt an totalen Gesichtsverlust, so minimal sind die Nachbesserungen. Das Kabinett muss ein Verfahren einführen, das Gehaltsangaben von Antragstellern so gründlich prüft, dass sich staatliche Zuschüsse zur Krankenversicherung auf echte Härtefälle beschränken. Sonst bleibt die Reform unangetastet.

Republikanische Wunde

Am Mittwochabend, nachts in Europa, gut 24 Stunden vor dem Überschreiten der Schuldengrenze, hatte auch das Repräsentantenhaus einem Gesetz zugestimmt, das den Shutdown vorläufig bis zum 15. Jänner beendet und das Schuldenlimit bis 7. Februar erhöht. In der größeren, rebellischeren Kammer verbündeten sich 87 moderate Republikaner mit den 198 Demokraten, um in letzter Minute die Zahlungsunfähigkeit des Landes abzuwenden, und zwar gegen 144 Nein-Stimmen im eigenen Lager. Zuvor hatte bereits der Senat, wo der Einfluss der Tea Party schwächer und die Staatsräson ausgeprägter ist, die Weichen in Richtung Kompromiss gestellt. Eine halbe Stunde nach Mitternacht schließlich setzte Barack Obama seine Unterschrift unter die Novelle, wobei er es tunlichst vermied, Töne anzuschlagen, die irgendwer als Triumphgeheul eines Siegers interpretieren könnte. Man müsse nach vorn schauen, das Kapitel schleunigst abhaken, betonte der Präsident. Nur kein Salz in die republikanische Wunde streuen, scheint seine Maxime zu sein.

Etat bis Dezember

Bis Mitte Dezember haben beide Parteien Zeit, sich auf Einsparungen im Haushalt des Finanzjahres 2014 zu einigen, einem Etat, der eigentlich schon Anfang Oktober in Kraft treten sollte. Es wäre die erste Gelegenheit, einen neuen Willen zur Kooperation zu beweisen. Allerdings glauben nur wenige Optimisten, dass es ihn gibt, abgesehen von ein paar wohlfeilen Erklärungen. Zumal die Tea-Party-Rechte nicht ans Aufgeben denkt. "Das ist ein lausiger Deal, der das amerikanische Volk im Regen stehen lässt", twitterte ihre neue Vorzeigefigur, der Texaner Ted Cruz, kaum dass die Einigung unter Dach und Fach war. (Schluss der Kurzfassung)

Dann ist da noch die Schadensbilanz nach 16 Tagen Shutdown (siehe Artikel links). Kaum in Zahlen ausdrücken lässt sich, was die Verunsicherung für das Wirtschaftswachstum bedeutet. Folgt man den Meinungsforschern von Gallup, dann ließ die Zitterpartie das Vertrauen des meist sprichwörtlich optimistischen amerikanischen Konsumenten so drastisch einbrechen, wie es seit der Pleite von Lehman Brothers 2008 nicht mehr der Fall war. (Frank Herrmann aus Washington, DER STANDARD, 18.10.2013)