Alles rund um den Dorfplatz des Borgo San Felice ist heute Hotel - alles bis auf die kleine Kirche, von der man hier auf das luxuriöse Haupthaus blickt.

Foto: Borgo San Felice

Austrian Airlines fliegt täglich nach Florenz.Das Hotel Borgo San Felice, nahe der Ortschaft Berardenga, liegt rund 90 Kilometer von Florenz, 230 Kilometer von Rom und 20 Kilometer von Siena entfernt. Wer ohne eigenes Auto kommt, kann auf den hauseigenen Shuttle-Service zum Flughafen zurückgreifen. Doppelzimmerpreise ab rund 290 Euro. Das Hotel bietet auch Pauschalen an - etwa zwei Übernachtungen für zwei Personen im Doppelzimmer, Weinverkostung, verschiedene Menüs und Zugang zum Spa-Bereich als "Food-and-Wine-Package" ab 1030 Euro.

Info: www.borgosanfelice.it

 

Foto: Borgo San Felice

Francesco Bracali scheint sich wohlzufühlen im Borgo San Felice. Denn die noble Unterkunft hat ein Luxusproblem, das seinem gleicht. Trotz großem Pool und einem stimmungsvollem Spa, trotz maßgeschneidertem Raumduftkonzept und einer Broschüre, in der Koordinaten für Hubschrauberlandungen angegeben werden - trotz alledem darf das Hotel seine regionale Identität einer Herberge in den rauen Hügeln des Chianti nicht verlieren. Es will ja die wiedererkennbaren Besonderheiten toskanischer Dörflichkeit repräsentieren. Der Koch Francesco Bracali will das auch.

Es habe gut geschmeckt, was die Nonna gekocht hat. Aber wie die Oma Pasta, Risotto und Ribollita zubereitet hat, könne noch verbessert werden. Aus so mancher regionalen Zutat ließe sich mehr herausholen. Also, sagt Bracali, studiere er die Zusammensetzung eines jeden Gerichts, das er zubereitet. Er experimentiert - und serviert dann eine vier Stunden lang bei niedriger Temperatur gekochte Taube, verfeinert mit Karotten und Schokoladensoße sowie toskanischen Kräutern und Foie gras.

Zwei Michelin-Sterne hat sich Bracali in dem nach seiner Familie benannten Restaurant in Massa Marittima zusammenexperimentiert. Es sei immer wieder eine Gratwanderung, die bodenständige, bäuerliche Küche der Toskana zu modernisieren, sie auf zeitgemäßes Niveau zu holen, ohne ihren Charakter zu verändern, erklärt er. Er könne nicht so kochen, wie man es früher einmal getan hat. Er darf die regionale Küche der Toskana aber auch nicht vollends an die Konventionen einer internationalen Edelgastronomie "verraten".

Der Spitzenkoch muss also pendeln - zwischen Massa Marittima und dem Borgo San Felice ebenso wie zwischen kulinarischen Stilen. Der Job in in der Hotelküche führt ihn weg von seinen oftmals maritimen Themen, tiefer hinein in die Hügel zwischen Florenz und Siena. Hier, in jenem Teil der Toskana, der sich nach dem Ursprung des bekanntesten italienischen Weines Chianti Classico nennen darf, ist alles edel-rustikal.

Ein bisschen so wie der Wein, der im hoteleigenen Gut aus den Früchten umstehender Weinstöcke gekeltert wird und abends die langsam gegarten Taubenstücke begleitet. Oder so wie das selbstgemachte Olivenöl, das im Herbst, wenn es wieder frisch gepresst wird, ein wenig vom Grün des toskanischen Frühlings zurückbringt. Der Ausblick von der Hügellage auf die durch strenge Zypressenspitzen geordnete Bilderbuchlandschaft lässt jedenfalls nicht daran zweifeln, dass man sich mitten im edel-ruralen Teil der Toskana befindet.

Verliebt und verarmt

Ein Umstand bettet das Borgo San Felice aber mehr als jeder andere in die geschichtsträchtige Umgebung ein. "Borgo" heißt auf Deutsch "Ortschaft": San Felice war einst ein Dorf, wie es viele in der Gegend gab: Bauern, die das umliegende Land kultivierten, standen im Dienst eines Fürsten, der in einem kleinen Palazzo am Hauptplatz residierte und vielleicht Politik betrieb oder Intrigen spann, sich vielleicht Hals über Kopf verliebte oder todunglücklich war, der vielleicht Krieg führte oder Kunst förderte - der aber ganz bestimmt dabei verarmte.

San Felice stand zuletzt unter der Herrschaft der Familie Grisaldi del Taja. Sie gehörte 1924 zwar dem Konsortium an, das die Marke Chianti Classico ins Leben rief und damit für wirtschaftlichen Erfolg sorgte, die Landflucht ließ in den 1960er-Jahren aber ein nahezu verwaistes Dorf zurück, und das Gut wurde verkauft. Später landete es im Besitz der Allianz-Gruppe, die die Straßen sperren ließ, die einzige Ampel abmontierte und Zimmer und Restaurants in den Gebäuden des Dorfes verteilte. Als Borgo San Felice nahm es 1991 den Hotelbetrieb auf.

Jetzt glänzt der Ort mit Hauptplatz und Wirtschaftsgebäuden, schmalen Gassen und engen Höfen als luxuriöses "albergo diffuso", also eine Art Streusiedlung, deren Suiten Oligarchen samt Familien genauso anlocken wie amerikanische Wanderer oder Pärchen, die sich in der örtlichen Kirche das Jawort geben.

Die Kirche - jedes toskanische Dorf hat eine - ist das einzige Gebäude, das nicht in Hotelbesitz ist, nicht sein darf. Hier werden noch Messen gelesen. Das Tauziehen ums Pfarrhaus ging zugunsten des Hotels aus - dort entstehen jetzt neue Suiten.

Nicht alle Dorfbewohner zogen weg. Als letzte Vertreter der alten Zeiten leben hier Pepe und Bruna mit ihren Katzen. Pepe half vor seiner Pension bei der Weinernte und kümmert sich um die Kirche, Bruna beeindruckt Hotelgäste mit der opulenten Gartenpracht in ihrem schmalen Hof. Beide hätten von dem Bankerl vor ihrer Tür das Treiben in den Gassen nach wie vor unter Kontrolle, erzählen die Hotelbediensteten wohlwollend.

Kein Toskana-Themenpark

Ein Dorf in der Toskana, das im Ganzen zum Hotel wird, mag auch Ängste auslösen, ein seelenloser Themenpark, eine Art Chianti-Disneyland zu werden. Die überschaubare Größe und die vielfach originale Bausubstanz, die unprätentiöse Eleganz und wohl auch Pepe und Bruna verhindern solche Verirrungen in diesem Borgo jedoch. Die Kulisse ruft nur dezent Italienklischees ab.

Francesco Bracali steht schon wieder in der Küche. Der Herbst liefert ihm in der Toskana nicht nur Olivenöl, sondern auch Wildschweine. Die Cinghiale lässt der Koch heuer auf zweierlei Art zubereiten. Rückenstücke kommen in die Pfanne, die Keulen in den Kochtopf. Lange. Erst viel später finden sie auf dem Teller bei Rotweinsauce und Birnen wieder zusammen. Aber das hätte die Oma sicher auch nicht anders gemacht. (Alois Pumhösel, DER STANDARD, Rondo, 19.10.2013)