Schwerpunktausgabe
25 Jahre STANDARD

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Wer sich an die 1980er-Jahre erinnert, war nicht dabei, hatte Falco gemeint. Umso wichtiger sind schriftliche Quellen. Mein Text erschien wenige Monate nach Gründung des STANDARD im Medien Journal, der Neuzugang und seine Folgen für den heimischen Qualitätsmarkt standen im Mittelpunkt. Jetzt hat mir der STANDARD die reizvolle Aufgabe zugedacht, von diesem Jugendwerk ausgehend zu untersuchen, was aus den damaligen Erwartungen und Einschätzungen geworden ist. Ich habe an das Blatt geglaubt, sah einen interessierten Leser- und Leserinnenmarkt und eine ansprechende Performance. 1989 war diese Position nicht gerade Mainstream.

Spätestens die Waldheim-Debatte hatte auch den letzten Zweiflern klargemacht, wie sehr in Österreich eine liberale Großstadtzeitung fehlte. Als durchsickerte, dass der in New York malende Oscar Bronner an einem entsprechenden Projekt arbeite, schlug die Stunde der Bedenkenträger. Überzeugend erklärten sie, dass dafür weder das Geld noch der Markt vorhanden wäre. DER STANDARD war jene kaum mehr erwartete Provokation, die die schlummernde Konkurrenz wachrief.

Die Yuppies, damals ein populärsoziologisches Phänomen wie heute die Bobos, würden durch den STANDARD "alphabetisiert" werden, meinte der Presse-Chefredakteur Thomas Chorherr, und dann - des Lesens fähig - zur Presse wechseln. Wir hatten am Wiener Publizistikinstitut indes einen potenziellen Lesermarkt von 250.000 errechnet. Heute liegt der STANDARD laut jüngster Media- Analyse mit 382.000 Leserinnen und Lesern deutlich vor der Presse (274.000).

Damals richtete er sich an ein vernachlässigtes Publikumssegment, das ich mit den Eigenschaften: "gebildet, urban, konsumfreudig, mit hohem Einkommen, aktiv, kulturell und wirtschaftlich interessiert" beschrieben hatte. Die Presse reagierte mit Irritation, einem Ausbau der Redaktion, mit Facelifting und einer Preiserhöhung auf das Konkurrenzblatt. Der unterentwickelte österreichische Qualitätsmarkt, der mit der Presse über "fast eine" - wie ich geschrieben hatte - Zeitung verfügte, die aber ohne Konkurrenz "fett und träge" (Chorherr) geworden war, erhielt mit dem STANDARD kräftigen Zuwachs. Davon profitierten und profitieren die Leserinnen und Leser.

Welche Ehrungen auch immer Branche und Republik parat haben, Bronner verdient sie als die Leitfigur des Qualitätssegments. Er wird sich distinguiert-mürrisch zieren, aber das darf die unerlässlichen Amtshandlungen nicht bremsen. Nach Profil und Trend in den 1970er-Jahren hat er es noch einmal getan. Ja, aber das waren Magazine, ob er es auch mit einer Zeitung kann, riefen die Unken. Wie finanziert man so ein Projekt? Was heute und im Erfolg so einfach klingt, war damals naturgemäß das Schwerste gewesen. Ein ungutes Gemisch aus Politik und Banken verhinderte die österreichische Finanzierung einer unbequemen Zeitung.

Bronner widmete sich mit vollem Einsatz seinem Projekt. Das ist angesichts der zunehmenden Besetzung der Verlagsspitzen mit Betriebswirtschaftern eine Besonderheit, die Unterschiede macht. Es war keine ökonomisch sinnvolle und strategisch logische Entscheidung, eine Online-Zeitung zu machen. Vor allem deshalb, weil es noch keine gab. 1995 war der STANDARD die erste Zeitung im deutschsprachigen Raum, die den Mut dazu hatte. Gerlinde Hinterleitner trieb das Projekt beharrlich voran. Bronner war zwar nicht überzeugt, aber er ermöglichte das frühe Experiment derStandard.at, der Rest ist Geschichte.

Ende 2012 zog der STANDARD aus dem Palais in ein neues, luftiges Haus, versammelte die zuvor räumlich getrennten Print- und Online-Redaktionen an einer Adresse und fusionierte diese schließlich zu einer für österreichische Dimensionen einmaligen redaktionellen Einheit von 170 MitarbeiterInnen. Der Newsroom, zusammengelegte Ressorts, neue Leiterinnen und Leiter - jeweils mit Print- und Online-Vergangenheit -, angeblich zufällig, aber wer glaubt schon an Zufälle, auch noch perfekt gegendert.

Apropos: 2007 bestellte Bronner Alexandra Föderl-Schmid zu Österreichs erster Chefredakteurin und machte sie 2012 zur Co-Herausgeberin. Sie ermöglicht ihm den geordneten Rückzug aus dem operativen Geschäft und die Hinwendung zur geliebten Malerei. Hier folgt das "Lob der anderen": "Bin neugierig, was 2013 noch passieren könnte, dass @foederlschmid nicht ,ChefredakteurIn des Jahres' wird. Hätte es absolut verdient" (Armin Wolf). Dem ist nichts hinzuzufügen. Sie leitet ein starkes Team mit wunderbaren JournalistInnen, divers und pluralistisch.

DER STANDARD stand von Beginn an für Vielfalt: Im "Kommentar der anderen" findet sich Platz für Stimmen von außen, eine Debattenfläche für Kontroversen und Interventionen. Auch innerredaktionell wird Pluralismus gefördert, was manche ärgert und viele schätzen. Ständiger Reibebaum bleibt dagegen die Anonymität der rund 20.000 täglichen Postings, die die üblichen enterbten und entrechteten Schreibauffälligen anzieht. Weder Sprachfilter noch ein fixer Moderator können alles Üble verhindern. Die schärfste Kritik daran fand sich in einer Kolumne - im STANDARD.

Sonst gar keine Kritik? Doch: Ich rätsle noch, was das RONDO will, schätze am ALBUM die Diversität, vermisse aber die Linie und wünsche mir seit 25 Jahren mehr Rezensionen. Und große Reportagen. Wenn jetzt noch das Wissenschaftsressort die Geistes- und Sozialwissenschaften entdeckt ... Es ist also nicht ganz altruistisch, dem STANDARD alles Gute zu wünschen. Zum nächsten Jubiläum in fünf Jahren warten schon die einschlägigen Ingeborg-Bachmann-Zitate ... (Hannes Haas, DER STANDARD, 19.10.2013)