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Patricia Kopatchinskaja mag tiefe Auseinandersetzungen mit Werken. Und sie glaubt, dass "jedes Stück eine Seele hat."

Foto: Archiv / patriciakopatchinskaja.com

Wien - Sie musste unlängst Konzerte absagen - es war ein bisschen zu viel geworden. "Ich habe mir eine Woche freigenommen - das musste sein. Wenn man zwischendurch nicht einmal mehr einen freien Tag hat, wird es irgendwann problematisch", sagt die moldauische Geigerin Patricia Kopatchinskaja (Jahrgang 1977), die mittlerweile in der Schweiz lebt. Es wird natürlich besonders dann problematisch, wenn man solche hohe Ansprüche an das eigene Tun stellt wie junge Dame.

Ja, sie sei nervös vor Konzerten. Dennoch "bin ich viel besser auf der Bühne, ich brauche diesen besonderen Zustand, diese Atmosphäre. Das alles ist quasi wie ein Sprung ins Jenseits, in eine Sphäre jedenfalls, in die man gemeinhin nicht hineinsehen kann. Nur in diesem Moment des Spielens kann es geschehen, dass man Einblicke in eine geheime Sphäre bekommt." Ein ehrenwerter Vorsatz, den im Konzertalltag umzusetzen nicht leicht sein dürfte.

"Wenn man sich jedoch dieses Ziel setzt, sich so vorbereitet, dass man auf der Bühne nicht Perfektion abliefern muss, sondern sich einen Moment gönnt, in dem man offen ist für das, was mit einem selbst passieren könnte - dann geschieht auch etwas Besonderes. Nicht immer natürlich, das kann ma ja nicht erwarten."

Es versteht sich, dass, wer so denkt, gemütliche Interpretationen von Werken weder schätzt noch anstrebt. Kopatschinskaja will denn auch beim Spielen "gleichsam eine bestimmte Leere schaffen, aus der heraus ein Stück neu zu erschaffen wäre - für unsere Zeit und unsere Ohren. Man spielt natürlich die Noten, die da stehen. Aber es geht um das, was hinter den Noten lauert. Es geht darum, was die Noten einem erzählen wollen." Das ergibt bei ihr oft einen erdigen Zugang zum Werk. Und auf CDs (sie publiziert auf Naive und ECM) bleiben dann bewusst die "Kratzgeräusche" drin - aus Wahrheitsgründen. Wahrheit vor Schönheit also, und das stößt nicht immer auf Begeisterung, sagt Kopatchinskaja: "Ausgebuht zu werden ist ganz schrecklich, das ist mir schon passiert. Andererseits ist es auch ein gutes Zeichen, dass die Leute etwas gespürt haben und es artikulieren müssen. Das war einmal bei einem Mozart-Konzert der Fall. Offensichtlich klang es bei mir zu ungewohnt, es gab heftige Reaktionen. Grundsätzlich finde ich aber, dass es zu wenig Unruhe in Konzerten gibt. Ich würde mir mehr Skandale wünschen." Intensität also und weniger das freundliche Hinnehmen.

Sympathie für Moderne

Kopatchinskaja, die mit ihren Eltern 1989 nach Österreich kam und zunächst im Flüchtlingsheim leben musste, ist indes mittlerweile in "der privilegierten Position, sagen zu können, mit wem ich gerne spiele und mit wem nicht. Das irgendwann bestimmen zu können ist wichtig." Zudem ist sie besonders froh, "meinen Weg durch das Spielen von zeitgenössischem Repertoire gemacht zu haben und nicht etwa durch den Romantiker Tschaikowsky." Und überhaupt: "Ich kann gar nicht verstehen, dass es Konzertprogramme gibt, in denen nur alte Stücke angeboten werden, wie es Programme ohne Zeitgenössisches geben kann."

Mittlerweile sind u. a. auch die Berliner Philharmoniker ihre Partner, auch der türkische Pianist Facil Say. Und am Sonntag wird Kopatchinskaja zusammen mit Pianist Markus Hinterhäuser, der ja auch die Wiener Festwochen und die Salzburger Festspiele leiten wird, zum 100. Geburtstag des Wiener Konzerthauses aufspielen - man gibt ein Werk von Galina Ustwolskaja.

Als wäre das alles nicht ausfüllend genug, ist die Instrumentalistin auch noch Komponistin - von Kopatchinskaja ist tatsächlich ein Violinkonzert im Anrücken: "Das Schreiben ist nicht einfach. Wie der Komponist Péter Eötvös gesagt hat: Um komponieren zu können, müsse man sich gleichsam leer fühlen, alles abstreifen, was man in sich an Musik trägt. Das ist wahnsinnig schwer." Besonders für eine Interpretin.

Das Stück begleiten

Nur Komponistin sein? Das wird es nicht geben. "Da brauche ich die Bühne doch zu sehr", sagt Kopatchinskaja und ist gleich wieder bei ihrer Philosophie: "Was mich an Musik interessiert, ist gar nicht so sehr, die richtigen Töne zu spielen. Es geht darum, in seinem Inneren das Gefühl zu bekommen, mit der schwer fassbaren Energie und Seele des Stückes verbunden zu sein - diese Stückseele beim Spielen gewissermaßen zu begleiten. Es ist so eine meiner Theorien, dass jedes Stück seine eigene Seele hat." (Ljubisa Tosic, DER STANDARD, 19.10.2013)