Louis wichtigste Sprache neben Englisch ist seine Muttersprache: Polnisch, die Sprache vieler Gedichte, die er auswendig kannte, die Sprache, in der er träumt, in der er zählt ...

Foto: Bettina Strauss

Mein Mann, Louis Begley, geboren in Polen, war kaum 13 Jahre alt, als er in die USA einwanderte. Er musste sich schnell in einer anderen als seiner Muttersprache zurechtfinden; das allerdings tat er mit solchem Enthusiasmus, dass er heute zu den prominentesten US-amerikanischen Romanschriftstellern zählt.

Ich frage mich oft, welche Auswirkungen der Sprachwechsel auf seine Arbeit als Schriftsteller hatte. Erstaunlich finde ich Louis' Sprachgebrauch: Er schreibt auf Englisch, beherrscht aber auch andere Sprachen - und damit meine ich auch die Literatur des jeweiligen Landes -, etwa Französisch, eine Sprache, die er als Schulbub lernte und die wir beide untereinander verwenden.

Ich verrate ein paar persönliche Details, um diesen Aspekt unseres Lebens verständlich zu machen. Wir waren beide schon einmal verheiratet, Louis brachte zwei Söhne und eine Tochter in unsere Ehe ein, ich zwei Söhne. Die Begley-Kinder, die recht gut Französisch konnten, demonstrierten Teamgeist und sprachen Französisch mit ihren neuen Stiefgeschwistern, bis diese Englisch konnten, dann wechselte die junge Generation ins Englische. Louis und ich sprachen und sprechen miteinander immer Französisch; mit seinen Kindern spricht er immer Englisch; mit meinen Kindern sprechen wir beide immer Französisch.

Hat sich dieser leichte Umgang mit der französischen Sprache und Kultur in Louis' schriftstellerischer Arbeit gezeigt? Ich denke, ja. Mit Ausnahme von Lügen in Zeiten des Krieges und Wie Max es sah gibt es in jedem seiner Romane eine französische Episode. Seine Charaktere verwenden oft französische Wörter, sei es für einen komischen Effekt wie in Schmidt, wo M. Mansours Lieblingsausdruck "pas de problème" ist. Louis' Romanfiguren - die gebildeten, ein bisschen altmodischen - machen eine "tour d'horizon", sind "au courant" in allen möglichen Dingen, nehmen nicht alles "au tragique" und beobachten amüsiert das Treiben der "haute bourgeoisie". Natürlich können sie alle eine französische Speisekarte lesen, schätzen einen Grands-Echézeaux 71, wissen, dass man bei Wein immer den Jahrgang nennt, um die Qualität zu bestimmen, Le Canard eine französische Satirezeitung und "l'affaire de l'Observatoire" eine mysteriöse Episode in Mitterands politischer Karriere ist - Pech, wenn der Leser das nicht weiß. Louis' Charaktere mögen nach Brasilien, China, Japan, durch ganz Europa reisen, es ist Frankreich, wo sie verweilen. Cherchez les femmes! Da gibt es die komplizierte, unglückliche Veronique in Der Mann, der zu spät kam: Halb Amerikanerin, an einem amerikanischen College erzogen, aber mit einem Franzosen verheiratet, lebt sie in Frankreich in einem Businessmilieu. Oder die völlig andere Léa, das "bad news"- Girl in Schiffbruch: Vogue -Journalistin, sehr direkt, fordernd, eine richtige Männerfresserin, die im Verlauf des Romans die Ehe des Protagonisten John North zerstört - das Ende der Affäre ist alles andere als nett. (Nicht immer bekommen die Französinnen in Louis' Welt, was sie wollen.)

Louis, ihr Schöpfer

Alice im letzten der drei Schmidt-Romane ist wieder ein ganz anderer Typ, erwachsener als Véronique oder Léa, mit unerschütterlich guten Manieren einer Diplomatentochter, einem ernstzunehmenden Job als Lektorin und literarisch so gebildet, dass sie sich Figuren aus der Weltliteratur bedient, um ihre eigenen Gefühle zu erklären. Mithilfe von Balzacs Cousine Bette erzählt sie Schmidt die Story ihrer traurigen Ehe. Wie Louis, ihr Schöpfer, spricht sie über literarische Figuren, als wären es lebende Menschen. Louis und ich machen das sehr gern, vor allem bei Proust, Balzac oder Trollope: Wir plaudern über deren literarische Figuren, als wären es Familienmitglieder.

Französisch ist nicht Louis einzige "Privatsprache". Eine, die er mit nicht allzu vielen teilt, ist das Italienisch des 14. Jahrhunderts, die Sprache Dantes. Dante ist Louis' beständigster Begleiter. Wann immer er in einem Flugzeug, in einem Zug reist, auf einem Flughafen festsitzt, fördert er Die Göttliche Komödie zutage. Oft liest er ein paar Cantos vorm Einschlafen. Ich gebe zu, ich kenne Dante nicht, viele Anspielungen auf die Commedia würde ich nicht bemerken, seine gebildeten Leser schon: etwa, dass Ehrensachen 33 Kapitel hat - die Commedia hat 33 Cantos. Oder dass in Mistlers Abschied ein alter College-Freund Mistler in Venedig mit einem wundervoll passenden "Siete voi qui, Ser Tomasso" anspricht, eine Anspielung auf ein Zusammentreffen Dantes mit seinem alten Lehrer Brunetto Latini. Wer diesen Hinweis versteht, kann daraus schließen, dass Mistlers Freund homosexuell ist: eine elegante, subtile Art, die sexuelle Neigung einer Figur einzuführen.

Selbstverständlich aber ist Louis wichtigste Sprache neben Englisch seine Muttersprache: Polnisch, die Sprache vieler Gedichte, die er auswendig kannte, die Sprache, in der er träumt, in der er zählt, eine Sprache aus seiner Vergangenheit, die er nur noch mit seiner Mutter sprach. Ich denke selten daran, wie sehr Louis seine Muttersprache möglicherweise vermisst. Er ist kein Mann, der in der Vergangenheit lebt, sondern im Gegenteil sehr in der Gegenwart verhaftet ist. Ich weiß, wie erfüllt er ist als amerikanischer Romanautor und wie sehr er die Schönheit und den Reichtum der englischen Sprache liebt.

Und doch hörte er nie auf, polnische Literatur zu lesen: Adam Mickiewicz, Zbigniew Herbert, vor allem aber den Romancier und Dramatiker Witold Gombrowicz. Einfügen sollte ich, dass Englisch eigentlich seine dritte Fremdsprache war. Während des Krieges lernte er noch Deutsch, während der 18-monatigen Besatzung Polens Russisch.

Ich frage mich, wie es ist, in einer fremden Sprache über Erlebnisse zu schreiben, die man in einer anderen Sprache erlebte, wie es - anders als in seinen amerikanischen Romanen - bei seinem ersten Buch der Fall ist. Lügen in Zeiten des Krieges spielt in Polen; alle Charaktere sind Polen mit Ausnahme einiger Deutscher. Der Roman ist nicht autobiografisch, sondern basiert auf Erinnerungen an das, was Louis widerfuhr, und Geschichten, die er später hörte. Der Punkt ist, dass alles in Polen geschah. Wie schreibt man eine Geschichte, an die man sich in einer anderen Sprache erinnert? Polnisch und Englisch sind sehr unterschiedlich, in Englisch kann Catherine Kate, Thomas Tom genannt werden, eine Mother ist eine Mom oder eine Mommy, aber da ist es schon zu Ende. Im Polnischen gehen die Kosewörter weiter, eine Mutter ist Matka, Mama, Mamusia, Mamunia; Louis ursprünglicher Vorname war Ludwik: seine Mutter nannte ihn nie anders als Ludus. Bei den alten Freunden hieß er Ludek. Und dann ist da natürlich die Frage des "Du" und "Sie". Diese Hürde nahm Louis, indem er nur indirekte Dialoge verwendete.

Es wäre für ihn undenkbar gewesen, nicht über diese verwundenden Kriegsjahre, die Traumata und Schrecknisse der Nazizeit zu schreiben; danach allerdings wandte er sich den großen menschlichen Themen zu: Macht des Eros, Auswirkung von Tod, Alter, Reichtum, bizarre Zufälligkeiten des Lebens.

Doch die Geschichte von Lügen in Zeiten des Krieges war noch nicht vorbei, es war ein riesiger Erfolg, viele Übersetzungen folgten. Louis überwacht die Translationen seiner Bücher in ihm geläufige Sprachen sehr genau. So war er nie zufrieden mit den französischen Übersetzungen, viel glücklicher mit den deutschen, weil sie alle von derselben Übersetzerin, Christa Krüger, stammen.

Ein Autor erkennt seine Bücher nie ganz in den Übersetzungen. Die Worte auf den Seiten sind nicht seine Worte, die Wendung der Phrasen sind nicht seine. Das Buch ist gleichzeitig sein Buch und doch etwas anderes. Lügen in Zeiten des Krieges wurde 1995 ins Polnische übersetzt, und zum ersten Mal sah ich Louis wirklich glücklich: Das ist das Buch, das ich selbst hätte schreiben können, sagte er.

So selbstsicher und rasch er seine Schriftsätze als Anwalt schrieb, so fehlte ihm diese Spontaneität bei seinen literarischen Texten. Da tüftelt und feilt er an jedem Satz, an jedem Wort, ehe er weiterschreibt. Mit den Worten, es sei sein Buch und nicht das seines Verlegers, widersetzt er sich Korrekturvorschlägen seines Lektors: Schließlich drücke er sich genau so aus, wie er es möchte. Das zwingt ihn, sein Manuskript immer wieder besonders sorgfältig zu lesen, obwohl die englische Sprache mittlerweile vollkommen seine eigene geworden ist. (Anka Muhlstein, Album, DER STANDARD, 25./26./27.10.2013)