Serienstart: "Österreich neu denken."

Grafik: von Usslar

Noch am Wahlabend war das erste Mal vom "neuen Stil" die Rede: Österreich müsse jetzt neu regiert werden, sonst sei die Mehrheit für eine große Koalition der beiden stärksten Parteien bei der nächsten Wahl endgültig dahin. Diese Einschätzung wird von den Vertretern von SPÖ und ÖVP in seltener Einsicht geteilt - und ist durchaus nachvollziehbar: Weitermachen wie bisher, das will niemand. Dramatisch formuliert: Das wäre der nächste Schritt zum Abgrund.

Noch scheint dieser von allen beschworene neue Stil die Parteispitzen von SPÖ und ÖVP nicht durchdrungen zu haben. Zu merken ist davon nichts. Im Gegenteil: Noch bevor überhaupt ein Zeitplan für die Koalitionsverhandlungen festgelegt wurde, rückten die Personalspekulationen in den Mittelpunkt der Gespräche im Hintergrund. Wer kriegt welches Ressort, wer kommt, wer geht, wer steigt auf, wer fliegt raus.

Die Koalitionsverhandlungen finden hinter verschlossenen Türen statt, die Öffentlichkeit bleibt ausgesperrt. Das ist alter Stil. Die Oppositionsparteien werden nur beim Thema Demokratiereform eingebunden, bei anderen Themen, die einer Zweidrittelmehrheit im Nationalrat bedürfen, gehen die jetzigen und höchstwahrscheinlich auch nächsten Regierungsparteien nur sehr zögerlich auf die Oppositionsparteien zu, um deren Standpunkte zu hören. Auf Anregungen von außen verzichten SPÖ und ÖVP weitgehend. Eingebunden in die Verhandlungen sind lediglich ein paar Landeshauptleute und Vertreter der Sozialpartner - was nicht unbedingt darauf schließen lässt, dass Österreich neu gedacht wird.

Realpolitischer Einfluss

Ganz oben auf der Reformagenda stehen eine Staatsreform und in der Folge eine Verwaltungsreform. Die Doppelgleisigkeiten, die es zwischen der Bundes- und der Länderebene gibt, sind augenfällig - und seit Jahren Gegenstand der politischen Diskussion. Für Experten, die nicht in die Niederungen der Tagespolitik eingebunden sind, ist es unverständlich, warum diese Strukturprobleme nicht längst angegangen werden. In der Frage der Verwaltungsgerichte und auch in der Schulverwaltung gab es in der letzten Legislaturperiode etliche Reformschritte, viele Maßnahmen, auf die Experten drängen, wurden aber aufgeschoben. Schuld daran ist das komplizierte Verhältnis zwischen Bund und Ländern - und der realpolitische starke Einfluss der Landeshauptleute, die sich in ihrem Wirkungsfeld nicht beschneiden lassen wollen.

Die große Koalition, die sich so schwertut, die großen Veränderungen anzugehen und aus sich selbst Kraft und Mut zu schöpfen, ist in dieser Behäbigkeit auch ein sehr österreichisches Phänomen: Die Angst und das Unvermögen, Reformen anzugehen und sich Veränderungen zu stellen, sind Teil der österreichischen Identität. Die Unzufriedenheit, dass sich nichts ändert, und der Unwille, wenn sich etwas ändern sollte, gehen in Österreich Hand in Hand. (Michael Völker, DER STANDARD, 25.10.2013)