Die Linie als Raumklammer: subtile Geste mit Wollfäden von Fred Sandback. Martin Barré verknüpft Leinwände mit Farbe.

Foto: Vyhnalek

Wien - Die Kraft der Suggestion ist immer wieder erstaunlich: Im Grunde sind es lediglich drei dunkle Wollfäden, die ein Dreieck in einer Raumecke aufspannen. Und selbst das ist nicht ganz richtig, sind doch die wollenen Enden gar nicht miteinander verbunden. Trotz dieser Lücken imaginiert man als Betrachter eine schräge Ebene, sieht also dort, wo nichts ist, außer die Luft des Raumes, ein transparentes Feld. Und man wagt kaum, es zu berühren, die magische Grenze zu durchbrechen.

Vielleicht ist es daher sogar legitim, von einem unsichtbaren Bild, von einem Tableau zu sprechen, obwohl es im Werk von Fred Sandback (1943–2003) üblicherweise um Raum geht. "Das Nachdenken über das Wesen von Raum oder eines Raums – und meine Anwesenheit dort oder darin – und die Art der Interaktion zwischen beidem war interessant,"  erklärte der Bildhauer seinen Zugang.

Das, was der Minimalist allerdings im Raum entstehen lässt, Kompositionen aus dem Verhältnis von Flächen (Volumen) zueinander, hat sein Pendant in der konkreten Malerei. So kann man die Raumkunst des US-Amerikaners doch als Antwort auf die Frage Why Painting Now? verstehen.

Manchmal sind Sandbacks Faden- und Drahtgespinste sogar in Farbe getaucht, werden so zum Träger von Malerei. Diese malerischen und flächigen Aspekte kommen in der Galerie Hubert Winter aktuell noch viel stärker zum Tragen, hat man Sandback doch Arbeiten des minimalistischen französischen Malers Martin Barré (1924–1993) gegenübergestellt.

Ausgesucht hat diesen Dialogpartner der renommierte Kunsthistoriker Yves-Alain Bois im Rahmen des Projekts curated by. Interessant ist, dass Barré zunächst Architektur – also eine sehr räumliche Disziplin – studiert hat. In seiner Malerei trägt er das Kolorit sehr lasierend auf, lässt große Flächen der Leinwand frei. Angeblich, um der räumlichen Illusion entgegenzuwirken. Aber gerade das Durchscheinen von Farbschichten, von Strukturen des unterschiedlichen Farbauftrags, sorgt für räumliche Effekte.

Die Linie war etwas, was beide Künstler faszinierte: Barrés Skizzen Drawings for the Verticales (1970), die aktuell in der Kölner Galerie Buchholz zu sehen sind, fehlen in Wien als perfektes Beispiel dieser Komplizenschaft. Die späten Schnittreliefs von Sandback lassen Bois von "Seelenverwandtschaft"  sprechen. Auch diese muss man leider missen. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 31.10/1.11.2013)