Wien - Zwei Mal schlägt der Hammer zu, unterbricht im Finale von Gustav Mahlers 6. Symphonie das Geschehen, deutet die Zerstörungskraft tatsächlicher oder geahnter Katastrophen an. Und ein wenig ist es dabei so, wie es der große Mahler-Exeget Theodor W. Adorno im Zusammenhang mit "schönen Stellen" einmal ausgedrückt hat: Der Rest läuft angesichts dieser Höhepunkte Gefahr, nebensächlich zu werden.

Abgesehen von der theatralen Geste, mit der der Schlagzeuger für die kürzesten, doch vielleicht spektakulärsten Solostellen ausholte, war dieser Einsatz am Donnerstag im Konzerthaus fast schon unauffällig zu nennen. Er hörte sich nämlich keineswegs so spektakulär an, wie er aussah, sondern genauso dumpf, wie es die Partitur vorsieht. Als berühmtestes Detail der Tragischen Symphonie konnte er jedoch für die gesamte Interpretation einstehen.

Obwohl es den Wiener Symphonikern nirgends an Präsenz, Energie und Präzision mangelte, klang das Orchester über die gesamten anderthalb Stunden wie nach innen gekehrt: Der unerbittliche Marschrhythmus des ersten Satzes, die verklärten Kantilenen des Andantes, die geisterhafte Wucht des Scherzos ließen zwar nichts an Expressivität zu wünschen übrig, aber straften die immer noch kursierende Rede über Mahler als "Romantiker" Lügen.

So reich die Ausdruckswelten der vier so verschiedenen Sätze auch wirkten, so brüchig schienen sie. Selten gelingt es, Mahlers emotionale Ambivalenzen so ungeschönt zu zeichnen, wie es Thomas Dausgaard schaffte: Die Musik hatte in der Lesart des Chefdirigenten des Swedish Chamber Orchestra nichts Triumphales, stattdessen klang sie auch da noch schattenhaft, wo sie voll auftrumpft. Noch die machtvoll entfesselten Klangmassen wirkten so, als spreche jemand nur mit halber Stimme. Doch was dieser Jemand zu sagen hatte, klang lange nach. Denn Dausgaard vermittelte auch den Eindruck, dass man bei Mahler nie mit Eindeutigkeiten rechnen darf. Und so ließ er die Sechste ausklingen wie mit einem Fragezeichen. (Daniel Ender, DER STANDARD, 2./3.11.2013)