Kaum hat US-Präsident Barack Obama beim Kampf ums Budget und die Schuldengrenze einen klaren Sieg über die Republikaner errungen, droht ihm eine vernichtende Niederlage. Die Probleme rund um die Website für seine Gesundheitsreform sind mehr als eine Peinlichkeit. Sie gefährden seine wichtigste innenpolitische Errungenschaft und damit seine gesamte Präsidentschaft.

Die Website healthcare.gov bleibt auch nach einem Monat regelmäßig stecken, und die Probleme gehen tiefer, als es in den ersten Tagen behauptet wurde. Bisher war es für viele unmöglich, sich für eine Krankenversicherung anzumelden, und die Informationen, die an die Versicherungsgesellschaften gelangen, sind meist fehlerhaft. Die Homepage ist schlecht aufgebaut und wurde vor dem Start kaum getestet, sagen Softwareexperten. Derzeit wird hektisch an Reparaturen gearbeitet, aber niemand weiß, wie lange es dauern wird, bis die ärgsten Fehler behoben sind.

Das ist mehr als ein Softwarepro­blem. Obamacare kann nur funktionieren, wenn Millionen meist junger, gesunder Amerikaner, die bisher aus Kostengründen unversichert geblieben sind, eine subventionierte Krankenversicherung bei einer privaten Gesellschaft abschließen. Wenn sich nur potenziell Kranke anmelden, dann werden die Prämien für alle Kunden steigen. Das schreckt Gesunde noch mehr ab, das gesamte fein austarierte System würde dann kol­labieren. "Todesspirale"  wird dieses Szenario bereits genannt.

Deshalb ist es auch keine Option, die Versicherungspflicht, die ab März 2014 gilt, und die mit ihr verbundenen Unterlassungsstrafen zu verschieben. Aber wie kann man Menschen zu etwas verpflichten, was technisch gar nicht geht, fragt man sich derzeit.

Sollte Obamacare auf diese Weise scheitern, dann würden sich die Republikaner bestätigt fühlen – nicht nur in ihrer Kritik an Obamacare, das sie mit ihrem Kampf ums Budget stoppen wollten, sondern in ihrer grundsätz­lichen Ablehnung von großen Regierungsprogrammen. Es wäre ein massiver Rückschlag für alle linksliberalen Politiker, Experten und Kommentatoren, die der Meinung sind, dass der Staat sehr wohl eine positive Rolle in Wirtschaft und Gesellschaft spielen kann.

Die negativen Schlagzeilen rund um Obamacare haben den Popularitätsanstieg des Präsidenten nach dem Ende des "government shutdown"  wieder zunichte gemacht. Obama und sein Team wirken inkompetent, wenn sie ihr wichtigstes Unterfangen nicht ordentlich managen können.

Sicher ist, dass die Regierung viel zu sorglos an die Umsetzung von Obamacare herangegangen ist. Die beauftragten Unternehmen waren zweitklassig, und zahlreiche Warnsignale wurden von Obamas Team übersehen. Dass die meisten republikanischen Bundesstaaten die Reform boykottieren, macht die Sache nicht einfacher, ist aber keine Entschuldigung. Wie schon beim NSA-Skandal erweist sich Obama als abgehobener Chef und als schlechter Manager.

Wenn die Softwarereparaturen in einigen Wochen greifen, dann wird diese Schlappe wohl bald wieder vergessen sein. Viele Experten hoffen immer noch, dass Obamacare funktionieren und dann auch der Widerstand dagegen bröckeln wird. Wenn aber auf healthcare.gov noch lange die Fehlermeldungen dominieren, dann kann Obama die Hoffnung auf eine erfolgreiche zweite Amtszeit begraben. (DER STANDARD, 4.11.2013)