Es gilt die Unschuldsvermutung. Natürlich. Das ist fast schon ein geflügeltes Wort, in vielen Fällen kaum noch ernst gemeint, oft schon als Vorwurf vorgetragen: Es gilt die Unschuldsvermutung. Auch in diesem Fall gibt es noch keine Schuldsprüche, es muss erst einmal das Verfahren abgewartet werden. Aber es gibt eine Anklage. Immerhin. Dass politische Delikte - in diesem Fall geht es um den Vorwurf der Untreue und der Vorteilsnahme - angeklagt werden, ist in Österreich noch längst keine Selbstverständlichkeit.

Auf der Anklagebank werden sitzen: ein ehemaliger Landeshauptmann, zwei ehemalige Landesräte, einer davon war auch Parteichef der Kärntner Freiheitlichen, ein ehemaliger Nationalratsabgeordneter. Gerhard Dörfler, Uwe Scheuch, Harald Dobernig, Stefan Petzner. Ein Sittenbild in Blau und Orange.

Worum es geht: Eine Werbebroschüre des Landes wurde so ähnlich auch als Wahlkampfbroschüre des BZÖ im Landtagswahlkampf 2009 verbreitet. Der vermutete Schaden: 219.000 Euro. Die Vermengung von Landesinteressen und Parteiinteressen hatte in Kärnten System - und kommt auch in anderen Bundesländern, im schwarzen Niederösterreich ebenso wie im roten Wien, vor. Vielleicht nicht ganz so plump.

Der zweite Punkt in der Anklage: Bei der Sanierung eines Tunnels soll der Landeshauptmann von einem Bieter einen "Sponsorbetrag" gefordert haben. Von solchen Vorgängen hat man in Kärnten (und außerhalb) nicht zum ersten Mal gehört. Dass die Justiz durchgreift, ist neu.

Die Angeklagten, die bis vor wenigen Monaten noch als die politische Elite ihres Landes gegolten hatten, stehen sinnbildlich für die Verrottung des politischen Systems. Ein System des Gebens und Nehmens, der Seilschaften, der Abhängigkeiten, der Gegenfinanzierung: mein Geld, dein Geld, unser Geld. Zwischen dem Land und der Partei wurde kaum ein Unterschied gemacht. Die Vergabe der finanziellen Mittel des Landes und der ihr zugehörigen Gesellschaften diente der Machtabsicherung. Nicht, dass dieses System völlig neu wäre. Und nein, auch anderen Parteien war - und ist - dieses System nicht fremd. Aber die Freiheitlichen wandten es besonders unmittelbar an.

Offenbar hat man sich auch bei der Justiz ein Herz gefasst. Das sei auch erwähnt, denn die Arbeit der Justiz ging gerade in Kärnten nicht immer ganz angst- und pannenfrei vonstatten: Dass die handelnden und angeklagten Personen jetzt nicht mehr an den Hebeln der Macht sitzen, scheint den Mut des rechtspflegenden Personals durchaus beflügelt zu haben. Recht so. Alles, was der Justiz dazu verhilft, ihrer Arbeit nachzukommen und der weitverbreiteten Freunderlwirtschaft dort ihre Grenzen zu setzen, wo diese schlichtweg kriminell wird, ist zu unterstützen.

Selbstverständlich sind die Entscheidungen der Justiz zu respektieren. Das gilt auch für die Einstellung des Verfahrens gegen Kanzler Werner Faymann, der sich mit Inseraten, die ÖBB und Asfinag zu finanzieren hatten, das Wohlwollen des Boulevards zu sichern versucht hat. Aber auffällig ist es schon, wo der Mut der Justiz die Flügel hebt - und wo nicht. Was jenen Politikern und Ex-Politikern jetzt in Kärnten widerfährt, möge ihren Kollegen in Wien, St. Pölten und anderswo dennoch als Abschreckung dienen. Das spart vielleicht viel Geld, mein, dein, unser Geld. (Michael Völker, DER STANDARD, 6.11.2013)