Jedem Gärtner sind sie ein Graus, aber für Forscher der Universität Graz ein interessantes Forschungsobjekt: Blattläuse haben ausgeklügelte Verteidigungsmechanismen entwickelt. Sie sind vor allem in der Gruppe stark.

Foto: Doris Reineke

Eigentlich war die Entdeckung reiner Zufall. Als der Biologe Manfred Hartbauer zur Besichtigung in den Garten seiner Nachbarin eingeladen wurde, beobachtete er dort Seltsames. Auf einem Oleanderbusch saßen Tausende gelber Tierchen - Blattläuse der Art Aphis nerii, eine ursprünglich mediterrane Spezies, die mittlerweile fast überall in Europa und Nordamerika vorkommt. Ganze Scharen der kleinen Insekten bevölkerten die jungen Zweige.

An sich kein ungewöhnlicher Anblick, doch es gab noch etwas anderes zu sehen. "Jedes Mal, wenn ich daran vorbeigegangen bin, hatte ich das Gefühl, die Blattläuse reagieren auf mich", erzählt Hartbauer im Gespräch mit dem Standard. Die Sechsbeiner schienen sich gleichzeitig zu bewegen. Im Akkord sozusagen.

Reagieren auf visuelle Reize

Hartbauers Neugierde war geweckt. Über drei Monate hinweg untersuchte der an der Universität Graz tätige Wissenschafter die A.-nerii-Kolonien. Immer wieder filmte und dokumentierte er ihr Verhalten und führte auch eine Reihe von Experimenten durch. Dabei zeigte sich, dass die Tiere tatsächlich auf visuelle Reize reagieren. Wenn sich ein Objekt von oben oder von der Seite einer Blattlausherde nähert, fangen die Insekten an, gemeinsam zu zappeln. Interessanterweise tun sie dies, während ihr Saugrüssel in der Wirtspflanze steckt. Der Rüssel dient dadurch gewissermaßen als Anker. Oft schlagen die Blattläuse beim Zappeln auch mit den Hinterbeinen aus. Und zwar kraftvoll. Das bemerkenswerte Verhalten ist offensichtlich eine Verteidigungsstrategie. "Sie treten gegen einen potenziellen Angreifer", erklärt Hartbauer.

Blattläuse sind für viele räuberische Insekten wie Marienkäfer und Florfliegen eine begehrte Beute. Winzige, parasitoide Schlupfwespen legen sogar ihre Eier in lebendige Blattläuse ab. Der später daraus schlüpfende Wespennachwuchs frisst sein Opfer von innen auf. Allerdings gelingt es den Wespen mitunter gar nicht so leicht, ihre Eier zu injizieren. Manfred Hartbauer konnte regelmäßig beobachten, wie eine zappelnde A.-nerii-Schar einem Parasitoiden die Tour vermasselte. Die Schlupfwespe versucht in solchen Fällen mehrfach, sich an eine Blattlaus heranzupirschen. Sobald sie diese aber berührt, gerät die Angegriffene in Bewegung. Innerhalb von Sekundenbruchteilen ist dann oft ein Großteil der Kolonie am Schwingen.

Typische Vibrationsmuster

Das Zappeln breitet sich manchmal wellenartig über die Herde aus und dauert normalerweise nur ein bis zwei Sekunden. Danach folgt eventuell eine neue Bewegungswelle. Die kollektive Reaktion kann auch durch leichte Erschütterung des Zweiges oder des Blattes, auf dem die Kolonie sitzt, ausgelöst werden.

Die Blattläuse selbst versetzen den Untergrund beim Zappeln ebenfalls in Schwingung. Dabei entstehen typische Vibrationsmuster, die Hartbauer mittels eines Laservibrometers aufgezeichnet hat. Vermutlich dienen diese Schwingungen als Stimulus, wodurch die Tiere in der Truppe zum Tanz angeregt werden. Ein koordinierendes Signal.

Gemeinsame Abwehrbewegungen konnte Hartbauer auch bei wiesenbewohnenden Blattläusen der Art Uroleucon hypochoerides beobachten. Seine detaillierten Studienergebnisse hat der Biologe im Internetfachmagazin PloS One (Bd. 5, e10417) veröffentlicht.

Die kollektive Verteidigungsstrategie der Kleininsekten ist auch Thema eines neuen Forschungsprojekts an der Uni Graz. Gemeinsam mit zwei Doktorandinnen will Hartbauer die Effektivität und die evolutionären Hintergründe ihres Verhaltens genauer untersuchen. Der Österreichische Forschungsfonds FWF leistet finanzielle Unterstützung.

Das Grazer Team interessiert unter anderem, wie die Kommunikation innerhalb der Blattlauskolonien funktioniert. U. hypochoerides zeigt nämlich noch andere Formen kollektiven Verhaltens. Trocknet eine Wirtspflanze zum Beispiel aus, macht sich die gesamte Herde auf und sucht eine neue Bleibe. Eine solche koordinierte Wanderung findet innerhalb kürzester Zeit und über eine Entfernung von bis zu einem Meter statt. Womöglich sind hier biochemische Botenstoffe im Spiel.

Doch auch A. nerii ist für Experten keine Unbekannte, denn die Spezies gilt schon länger als wehrhaft. Zum Beispiel nutzt sie die Giftstoffe des Oleanders zur Selbstverteidigung. Diese sogenannten Cardenoliden werden im Körper der Blattläuse angereichert und machen die Tiere so vor allem für Vögel ungenießbar. Die gelbe Warnfarbe tut dies kund. Gegen Marienkäfer und Schlupfwespen ist dieser Trick allerdings kaum wirksam. Sie sind gegen das Gift offenbar immun.

Doch die Pflanzenparasiten verfügen noch über eine ganz andere Chemiewaffe. Am Hinterleib tragen viele Blattlausarten zwei herausragende Röhrchen, die Siphons - äußerst bewegliche Strukturen, wie Hartbauer betont. Durch diese Siphons können die Tiere Tröpfchen eines speziellen Kampfstoffes abschießen. Das Gemisch enthält besonders langkettige Fettsäuren und erhärtet, sobald es auf ein Objekt trifft, zu einer festen Wachsschicht. Wie Schellack.

Beschuss von allen Seiten

Feinde wie die Schlupfwespen müssen sich davor in Acht nehmen. "Diese Substanz kann buchstäblich ins Auge gehen", sagt Hartbauer. Das angreifende Insekt versucht zwar, sich zu putzen, verschmiert sich aber dadurch meist noch mehr. Für Parasitoide und Käferlarven kann das tödlich enden.

Es verwundert also nicht, dass sich Schlupfwespen ihren Opfern unauffällig nähern und sich Kolonien meist am Rande nähern. Sonst besteht die Gefahr, eine kollektive Abwehrreaktion mit dem Siphon zu provozieren. Harztröpfchenbeschuss von allen Seiten.

Gemeinsames Zappeln könnte einem solchen Gegenangriff durch die Freisetzung von Alarmpheromonen Vorschub leisten. Über diese Botenstoffe würden die Tiere einander dann in Kampfbereitschaft versetzen. Als Auslöser reicht vielleicht schon der Luftwirbel, verursacht durch den Flügelschlag des Angreifers. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 13.11.2013)