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Über 1000 Kandidaten bewerben sich in Mali um 147 Sitze im Parlament.

Foto: AP/Jerome Delay

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Grafik: APA

Das westafrikanische Land Mali hat sich noch immer nicht vom Putsch 2012 erholt, in dessen Folge der Norden monatelang von Islamisten besetzt war. Zwar bemühen sich französische und UN-Truppen, die Sicherheitslage zu verbessern, in den letzten Monaten kommt es aber wieder verstärkt zu Anschlägen islamistischer Rebellen, Anfang November wurden zwei französische Journalisten entführt und ermordet.

Am Sonntag wählen die Malier ein neues Parlament. Lori-Anne Theroux-Benoni vom Institute for Security Studies in Dakar über eine ungewisse Ausgangslage und die Hoffnung der Malier auf ein reformiertes Mali.

derStandard.at: In den letzten Monaten sind zahlreiche Rebellen und Extremisten in die nordmalische Region um Kidal zurückgekehrt. Zahlreiche bewaffnete Gruppierungen haben die Gegend nie verlassen. Beobachter sind deswegen sehr besorgt, auch was die Wahlen am kommenden Sonntag betrifft. Wie schätzen Sie die Lage ein?

Theroux-Benoni: Natürlich ist die Lage in Kidal besorgniserregend, regelmäßig finden in der Region Anschläge statt, auch in Gao oder Timbuktu. Und die Entführung und Ermordung der beiden französischen Journalisten Anfang November zeigt deutlich, dass die Sicherheitslage nicht unter Kontrolle ist. Aber auch die Präsidentschaftswahlen im August fanden in Kidal bei angespannter Sicherheitslage statt. Eher symbolisch als nach demokratisch einwandfreien Spielregeln, aber sie fanden statt.

derStandard.at: Wer sind die Extremisten?

Theroux-Benoni: Das sind Leute, die vor der französischen Intervention auch schon präsent waren. Die AQIM, Al Qaida in Islamic Magreb, (die sich auch zum Mord an den französischen Journalisten bekannten, Anm.), frühere Mitglieder der islamistischen Ansar Dine unter Iyad Ag Ghaly, die Timbuktu besetzt hatten. Weiters Leute von MUJAO ("Bewegung für Einheit und Jihad in Westafrika", Anm.), die sich mit anderen Gruppen zusammengetan und neu organisiert haben.

derStandard.at: Könnte die Region wieder unter die Kontrolle von Islamisten kommen?

Theroux-Benoni: Es ist in meinen Augen sehr unwahrscheinlich, dass etwas Ähnliches passieren kann wie vor etwa einem Jahr.  Jetzt gibt es die Vereinbarung mit den Tuareg-Gruppierungen. Der asymmetrische Krieg, wie wir ihn in den letzten Wochen und Monaten in Gao, Timbuktu und Kidal beobachten konnten, wird aber wohl weitergehen.

derStandard.at: Der im August neu gewählte Präsident, Ibrahim Boubacar Keita alias IBK, ist mit dem Versprechen angetreten, die Situation im Norden Malis unter Kontrolle zu bringen. Was hat er bisher ausrichten können?

Theroux-Benoni: Er hat in dieser Angelegenheit eine sehr eindeutiges Auftreten, hat die Gewalt der letzten Wochen mit deutlichen Worten verurteilt. Sein Ton unterscheidet sich dadurch stark von dem seines Vorgängers und er genießt in der Bevölkerung das Vertrauen, diese schwierige Aufgabe meistern zu können. Aber er steht unter großem Druck. Jetzt kommt es darauf an, sobald wie möglich die Verhandlungen mit den Tuareg-Rebellen voranzutreiben und ihre Entwaffnung einzuleiten. Das ist nicht einfach, denn sie sind in der Region nicht der einzige Player. Auf bilateralem Weg finden regelmäßig Gespräche statt, die malische Regierung ist auch sehr bedacht darin, die Verhandlungen innerhalb Malis zu führen, also keinen internationalen Vermittler zu brauchen. Von außen mag das wie Stillstand aussehen, aber ich denke, dass der Prozess, wenn auch kleine, so doch Fortschritte macht.

derStandard.at: Beobachter kritisieren die Entscheidung von IBK, vier führende MNLA-Köpfe (Nationale Bewegung für die Befreiung des Azawad, Tuareg-Rebellen, Anm.) auf der Liste seiner Partei "Rally for Mali (RPM) kandidieren zu lassen, um sie für die Verhandlungen sanft zu stimmen. Gute Strategie oder Fehler?

Theroux-Benoni: Die malische Bevölkerung ist schockiert darüber. Das wird weniger IBK vorgeworfen. Die Malier empören sich viel mehr darüber, dass diese Männer, die noch vor kurzem mit Waffengewalt gegen die malische Bevölkerung vorgegangen sind, nun plötzlich politische Verantwortung für diese Bevölkerung übernehmen wollen. Das ist nicht glaubwürdig. Sie sind aber nicht die Einzigen, die vor einem Jahr auf der Seite der bewaffneten Rebellen standen und jetzt auf den Wahllisten sind. Hauptsächlich sind das Leute, die vorher schon politische Funktionen innehatten.

derStandard.at: Welche Rolle wird das künftige Parlament in Mali spielen können? Bisher hatte es in Mali eine sehr schwache Position. 

Theroux-Benoni: Es stimmt, dass das malische Parlament sehr auf Konsenspolitik setzt, Gesetze der Regierung einfach abnickt und sich - egal zu welcher Partei gehörig - um den Präsidenten schart. Es gibt keine klare Opposition und die Malier sehen ihr Parlament auch nicht als eigenständige Kraft im Sinne von Checks and Balances. Es ist schwierig, solche Gewohnheiten zu ändern. In Zukunft wäre es aber wichtig, dass das Parlament ein Akteur wird, der zur Gewaltenteilung beiträgt. Vor allem hinsichtlich der zahllosen demokratiepolitischen Reformen, die jetzt in der Postkonfliktära anstehen. Es bleibt zu hoffen, dass sich nach den Wahlen eine politische Landschaft ergibt, die eine starke Opposition ermöglicht. IBK setzt natürlich auf eine Mehrheit seiner Partei und deren Allianzen. Der bei den Präsidentenwahlen unterlegene Soumaïla Cissé ist sein stärkster oppositioneller Herausforderer.

derStandard.at: Hat Soumaïla Cissés Partei überhaupt Chancen?

Theroux-Benoni: Zwar hat man ihn nicht zum Präsidenten gewählt, aber er hat ein bekanntes Gesicht, das aus den über 1000 Kandidaten heraussticht, die sich um 147 Sitze bewerben.

derStandard.at: Wie ist das Interesse der Bevölkerung an den Wahlen allgemein?

Theroux-Benoni: Traditionell ist das Interesse an Wahlen eher niedrig. Bei den vergangenen Präsidentschaftswahlen hingegen war die Wahlbeteiligung sehr hoch, was vor allem daran liegt, dass die Malier das Gefühl hatten, sie hätten in der Zeit nach dem Konflikt eine besondere demokratische Verantwortung. Ich gehe davon aus, dass die Wahlbeteiligung diesmal geringer ist, das Gefühl des Ausnahmezustands hält aber weiter an. (Manuela Honsig-Erlenburg, derStandard.at, 21.11.2013)