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Der echte Leon de Winter, der in seinem Roman "Ein gutes Herz" auch als literarische Figur auftritt.

Foto: apa/epa/Dedert

Wien - Der Niederländer Leon de Winter zählt zu den erfolgreichsten Autoren seines Landes. Seine Bücher verkaufen sich millionenfach und sind in 21 Sprachen übersetzt. Kontroverse gesellschaftspolitische Themen und die oft selbstironische Auseinandersetzung mit seinem Glauben prägen das Werk des 59-Jährigen. De Winters Eltern, orthodoxe Juden, überlebten den Holocaust in einem Versteck, das ihnen katholische Geistliche zur Verfügung stellten. Soeben ist de Winters zwölfter Roman Ein gutes Herz erschienen. Darin spielen er selbst und der mit ihm verfeindete, 2004 ermordete Regisseur Theo van Gogh wichtige Rollen.

STANDARD: In Ihrem Roman ist der ermordete Filmemacher Theo van Gogh Ihr Schutzengel. Ist er Ihnen einmal in dieser Rolle begegnet?

Leon De Winter: Das stimmt wirklich: Es gab einen bestimmten Moment, einen Traum. In diesem zeigte sich Theo mir und besuchte mich.

STANDARD: Ein Schock für Sie?

De Winter: Viel mehr haben mich die Youtube-Videos geschockt, in denen Theo van Gogh zu sehen ist, wie er in einer alten Fernsehshow über mich spricht und mich beschimpft.

STANDARD: In "Ein gutes Herz" heißt es, dass Ihnen der Hass van Goghs fehlt - stimmt das?

De Winter: Ja, ich glaube schon. Ich selbst habe dagegen gar nicht die Energie, meine Feinde weiter zu hassen. Ich vergesse sie einfach.

STANDARD: Hatte das Schreiben über van Gogh eine therapeutische Wirkung?

De Winter: Obwohl das gar nicht meine Absicht war, als ich mit dem Schreiben begann, trat sie tatsächlich ein. Ich wollte eigentlich nur eine gute Geschichte erzählen, aber während ich an dem Roman arbeitete, bemerkte ich, dass ich van Gogh vergeben konnte.

STANDARD: Sie selbst spielen im Buch auch mit. Dieser Leon de Winter wird als übergewichtiger Scharlatan bezeichnet. Fiel es Ihnen schwer, so hart zu urteilen?

De Winter: Diese Person, die Leon de Winter heißt, habe ich frei erfunden. Er ist ganz anders als ich - in der Realität bin ich nämlich zuverlässig, gut gebaut und sehe aus wie ein Bodybuilder!

STANDARD: Sie schildern in "Ein gutes Herz" einen Terroranschlag auf das Amsterdamer Opernhaus und nennen Politiker bei ihren echten Namen. Wie waren die Reaktionen in den Niederlanden?

De Winter: Grundsätzlich sehr positiv. Soweit ich das beurteilen kann, wurden die Personen, die ich beschrieben habe, dadurch nicht gekränkt. Sie wissen, dass ich ihre Alter Egos nicht deswegen erfunden habe, um sie zu verletzen. Aber natürlich gibt es trotz allem Leser, die jetzt Angst davor haben, die Oper zu besuchen.

STANDARD: Halten Sie so einen Anschlag für möglich?

De Winter: Alles ist denkbar - die meisten Dinge, die man sich vorstellen kann, können wirklich passieren.

STANDARD: Wie beurteilen Sie grundsätzlich die aktuelle Gefahr islamistischen Terrors in Europa?

De Winter: Wir haben das Glück, dass unsere Geheimdienste gute Arbeit leisten. Sie verhindern etwa 99,9 Prozent der geplanten Anschläge. Ich glaube schon, dass die Bedrohung echt ist.

STANDARD: Sie erzählen Ihren Roman aus verschiedenen Perspektiven. Welche ist Ihnen am schwersten gefallen?

De Winter: Eigentlich waren sie alle angenehm, am meisten mochte ich den kleinen Jungen. Am schwierigsten war Mohammed Boujeri, der Mörder von Theo van Gogh. Aber das Buch konnte nur funktionieren, wenn auch seine Perspektive so ausgereift wie die anderen war.

STANDARD: Warum haben Sie sich gegen einen klassischen Thriller entschieden?

De Winter: Wegen Theo. Er hat mich gezwungen, ihn in den Roman hineinzuschreiben. Aber er ist tot. Also musste ich dafür eine Lösung finden, was bedeutete, dass der Roman eine neue Struktur brauchte, ein neues Herz. Es ist ein aufregendes Herz. (Günter Keil, DER STANDARD, 22.11.2013)