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Der deutsche TV-Sender ZDF sucht per Umfrage den "besten Deutschen" - zur Auswahl stehen auch Mozart und Freud. Der Trick dabei: Es gelten alle "deutschen" Grenzziehungen seit dem Hochmittelalter. Ein Disput der Historiker erreicht die breite Öffentlichkeit.


Mainz/Wien - "Seit 919 ist in den Annalen ganz offiziell vom Königreich der Deutschen die Rede." - So lautet die einleitende Erläuterung der ZDF-Experten, sie klarlegen soll, wer als Deutscher oder Deutsche zu gelten hat: nämlich jeder Mensch, der innerhalb der seither häufig wechselnden "deutschen" Landesgrenzen geboren wurde; 300 solche Menschen hat das ZDF auf eine Liste gesetzt, nun sollen nun die heutigen Deutschen ihren Besten oder ihre Beste daraus auswählen.

Die Aufnahme von Wolfgang Amadeus Mozart (1756 in Salzburg geboren) in diese Liste erregte dabei die meiste Verwunderung, bei treuen, österreichischen Mozart-Verehrern sogar Grimm. Sie verweisen auf den aktuellen Brockhaus, der Mozart als "österreichischen Komponisten" führt.

Peter Arens, Leiter der ZDF-Redaktion Geschichte und Gesellschaft, sagt: "Im Brockhaus 1837-1841 ist Mozart als deutscher Komponist verzeichnet. (...) Zu seinen Lebzeiten gehörte Salzburg zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Wir geben zu, dass das eine Anregung zur Diskussion ist. Wenn die deutschen Grenzen diskutiert werden, ist uns das recht."

"Teutsche Europäer"

Thomas Fröschl, Professor für neuere Geschichte an der Universität Wien, hat eine gewissermaßen rückwirkende Geschichtslogik dazu: Für ihn war Mozart ein "teutscher Europäer, kein Österreicher"; weil er eben in diesem Reich ohne heutige Nationenbildung gelebt hat.

Aber Fröschl weist ausdrücklich darauf hin, dass die Österreicher seit der Gründung der österreichischen Republik nach dem Zweiten Weltkrieg Mozart als einen der ihren beanspruchen dürfen; ebenso wie die Deutschen Johann Wolfgang von Goethe seit der Entstehung Deutschlands als Nation (1871) einen Deutschen nennen dürfen. Dieser Logik folgend war auch Goethe zu Lebzeiten (1742 bis 1832) kein Deutscher, sondern ein "teutscher Europäer".

Ein anderes Problem stellt sich bei Rainer Maria Rilke, dessen Name auch auf der ZDF-Liste steht: Mag sein Geburtsort Prag vorher innerhalb "deutscher Reichsgrenzen" gelegen haben, geboren wurde der Dichter 1875 und hielt sich auch gar nicht so dauerhaft im 1871 gegründeten Deutschland auf. Und, wenn das schon durchgehen soll, warum steht dann der 1883 in Prag geborene Franz Kafka nicht auf der Liste, auf der auch Karl May verzeichnet ist?

Wie überhaupt die qualitativ kunterbunte Auswahl der ZDF-Liste mehr verblüfft als die "nationale Unschärfe". Immerhin muss Mozart in seiner Fachgruppe Musik gegen Dieter Bohlen antreten - in einem Land, dessen Bewohner erst vor kurzem in einer Umfrage erachteten, Thomas Gottschalk sei für Deutschland wichtiger als Goethe, kein sicherer Sieg. (dpa/kps/DER STANDARD, Printausgabe, 8.8.2003)