Rätselhaftes Pokerface in der Performance "White for" von Karl Karner und Linda Samaraweerová. 

Foto: Karner/ Samaraweerová

Wien - Seit Sonntag ist die neunte Vienna Art Week Geschichte. Das Kunstfestival, ein Aufmerksamkeitsgenerator für die Wiener Kunstszene, hatte ein dicht gepacktes, durch keinen übergreifenden Plan diszipliniertes Programm. Dass sich darin auch die Performancekunst deutlich bemerkbar machte, hat nicht geschadet. Denn in der Performance lassen sich Reizthemen der Kunst wiederum anderes thematisieren.

Zum Beispiel das im Wiener Kulturbewusstsein tief verankerte Wissen darum, dass man stets weniger weiß, als man gerne wüsste. Was am Selbstbewusstsein nagt. Die Folgen in Kunstkreisen sind ein gewisser Theoriekult auf der einen oder Theoriescharlatanerie und eine Diskursblasen-Phobie auf der anderen Seite. Um Letztere kümmerten sich die Künstler Michael Endlicher und Cynthia Schwertsik (zusammen als "Cems") liebevoll in ihrer Aktion Ich brauch Tapetenwechsel, mit der sie die Ausstellung The 1970s. The Expansion of Viennese Art im Musa, der Sammlung zeitgenössischer Kunst der städtischen Kulturabteilung, infiltrierten.

Endlicher und Schwertsik arbeiten seit 2011 an einem Theorie ironisierenden Glossar mit dem Titel Definitiv: Kunst! Von Arcadientia bis Zöllitrophismus. Es gibt bisher 17 Begriffe samt Definitionen (nachzulesen auf www.endlicher.at). Unter "Soziophante Internationale" steht da etwa: "Die Nullerjahre brachen eine antididaktische Revolution gegen die Hegemonie der selbsternannten Diskurspäpste und ihrer kastrierten Zwangsintellektualität vom Lattenzaun."

Das Glossar ist Ausdruck eines Unbehagens. Nicht im Sinn von Mephisto in Goethes Faust I: "Grau, teurer Freund, ist alle Theorie, / Und grün des Lebens goldner Baum." Sondern in der nicht ganz irrigen Annahme, die Diskursblasen mancher Zitierschaumschläger seien Werke des Teufels. Während der Performance konnten die Glossarbegriffe auf Tapetenbahnen studiert und mit Mikrofon laut vom Blatt gelesen werden. Ein Conferencier war eingeladen, das Glossar zur praktischen Anwendung zu bringen, und es gab Suppenbuchstaben zum Selberarrangieren.

In einem Studio des Tanzquartier Wien ging es mit Karl Karners und Linda Samaraweerovás Performance White for tatsächlich undidaktisch zu. In einem raumgreifenden Gestell aus Ästen errichtete die Künstlerin Angelika Loderer einen Heuhaufen, den sie mit Gips beträufelte. Royl Culbertson und Rosi Rehformen bauten eine akustische Struktur mit singender Säge, trompetenden Schläuchen und Flaschen, kleinen Gestellen bis hin zu einem Cello.

Karl Karner war mit Johannes Weckl am Installationswerk. Als Performer goss Karner Gips in eine Röhre, schwenkte ein Monstermikrofon mit Orangenkopf und suchte diese Orange mit einer langen, rot gehörnten Stange zu treffen. Loderers Unbeirrtheit, Culbertsons Lautwitz, Rehformens Cello-Coolness und Karners Pokerface machten diese rätselhafte Parallel-Weltgestaltung zu einem fesselnden Erlebnis. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 25.11.2013)