"Wie dir dein Schleier bei einem Erdbeben helfen kann, Lektion 1" heißt dieses Video von Anahita Razmi.

Foto: Anahita Razmi

Innsbruck - Eine junge Frau drückt sich einen schwarzen Stempel ins Gesicht: Ihre Stirn ziert der deutsche Bundesadler. Sie stempelt rhythmisch weiter, bis die staatliche Insignie, Symbol deutscher Nationalität, sie maskiert und unkenntlich macht.

Selma Alaçam, 1980 als Tochter eines türkischen Vaters und einer deutschen Mutter in Mannheim geboren, stellt so wie Anahita Razmi (geb. 1981 in Hamburg) immer wieder das Aufeinandertreffen von islamischer und westlicher Welt in den Fokus ihrer Arbeit. Die Künstlerinnen bestreiten nun in der Galerie Bernd Kugler eine sehenswerte Ausstellung.

Vorwiegend in den Medien Performance, Fotografie und Video reflektieren Alaçam und Razmi Fragen des Islam, die im europäischen Diskurs oftmals unberücksichtigt bleiben. Vor allem Razmi, die einen iranischen Vater hat, nähert sich mit einer guten Prise Ironie politisch hochgekochten Themen wie etwa jenem des Tschadors. In einem ihrer Videos wird diesem symbolträchtigen Stoff nämlich auch eine funktionale Bedeutung zugeschrieben. So kann man in acht Lernschritten den Gebrauch des Schleiers im Falle eines Erdbebens üben. Ob als Seil, Helm, Fahne oder gar Taschentuch, erfüllt er doch zumindest scheinbar den europäischen Drang nach Zweckmäßigkeit. Oder man kann im Video How I killed the American President den Metamorphosen eines vermeintlichen Attentäters (die Künstlerin selbst) folgen.

Auch Selma Alaçam wählt als künstlerische Strategie die beständige Veränderung. So kann sie feste Einschreibungen - die vielmehr der europäischen Denkart entsprechen - unterlaufen. Sie zeigt sich im Video Saç, Haare beim Kämmen ihres Haars, um es dann elegant unter einer Perücke mit identischer Frisur zu verstecken. Da der Islam verbietet, das eigene Haar in der Öffentlichkeit zu zeigen, erscheint dieses perfekte Double des Eigenen als Möglichkeit, Religion mit westlichem Lebensstil in Einklang zu bringen. Dieses Bild einer jungen Frauengeneration hält die Künstler nun den europäischen und muslimischen Blicken entgegen. (Tereza Kotyk, DER STANDARD, 5.12.2013)