Wien - Im Wiener Straflandesgericht steigt die Angst vor den Fremden. Allerdings nicht aus xenophoben Gründen, sondern wegen einer Änderung der Strafprozessordnung (StPO), die am 1. Jänner in Kraft treten wird.

Ab dann haben Beschuldigte, die nicht Deutsch sprechen, nämlich das Recht, nicht nur einen mündlichen Dolmetscher zur Seite gestellt, sondern auch Akten in ihre Muttersprache übersetzt zu bekommen. Neben den wichtigsten Dokumenten können die Betroffenen auch die Translation anderer Schriftstücke beantragen. Das könnte Verfahren verlängern und zu Einsparungen führen, lauten die Befürchtungen.

Grund der Änderung ist die Umsetzung einer EU-Richtlinie aus dem Jahr 2010. Billig wird diese Maßnahme nicht, schätzt das Justizministerium. Bis zum Jahr 2017 werden jährliche Mehrkosten in der Höhe von 10,4 Millionen Euro entstehen, haben die Beamten errechnet. Der Anteil der nicht Deutschsprechenden Beschuldigten liegt demnach derzeit bei 43 Prozent.

Kein zusätzliches Budget

Die Sorgen der Wiener Richterschaft könnten daher nicht ganz unbegründet sein. Denn für die Umsetzung der Maßnahme habe das Justizministerium kein eigenes Budget bekommen, sagt Sprecherin Dagmar Albegger. Der Mehraufwand muss also anderswo eingespart werden.

Grundsätzlich sind die Richterinnen und Richter ja dafür, die Beschuldigtenrechte auszudehnen. Schließlich möchte niemand in einem ausländischen Gefängnis sitzen und keine Chance zu haben, die Vorwürfe und Zeugenaussagen gründlich zu studieren.

Die Befürchtung ist allerdings, dass sich bei großen Fällen die Verfahrensdauer drastisch verlängert, speziell, wenn eine Sprache nötig ist, für die es wenige oder gar keine Gerichtsdolmetscher gibt. Für Albanisch oder Chinesisch gibt es in Wien beispielsweise nur je vier Übersetzer.

Richard Soyer, Sprecher der "Vereinigung österreichischer StrafverteidigerInnen" sieht den Schritt dagegen rundum positiv. "Das ist ein längst überfälliger Meilenstein in Richtung eines fairen Verfahrens", sagt er. Der Aufwand werde überschätzt, auch wenn es sich einspielen müsse.

"Eher bereit, zu gestehen"

Dass Beschuldigte exzessiv Anträge stellen, glaubt er nicht. "Man nutzt Rechtsbehelfe nur aus, wenn es Sinn macht. Wenn man das Gericht mit sinnlosen Anträgen bombardiert, wird man sich eher den Unmut zuziehen." Darüber hinaus könnte die Neuerung auch zur Verfahrensverkürzungen beitragen. "Wenn ein Mandant sieht, dass die Beweislage eindeutig ist, wird er eher bereit sein, zu gestehen."

Beim Gerichtsdolmetscher-Verband, in dem Übersetzer für 49 Sprachen versammelt sind, sieht man ebenso keine Probleme dräuen. "Für die gängigen Sprachen gibt es genügend Dolmetscher, und für die selteneren fehlen sie jetzt auch schon", sagt eine Mitarbeiterin.

Beten muss man im Straflandesgericht Wien übrigens darum, dass man es nie mit Angeklagten aus dem Vatikanstaat zu tun bekommt. Dort ist die Amtssprache Latein – und dafür gibt es nur in Asparn an der Zaya eine Gerichtsdolmetscherin. (Michael Möseneder, DER STANDARD, 07.12.2013)