Werner Sauter.

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STANDARD: E-Learning wird auch in der betrieblichen Weiterbildung als wichtiger Trend gesehen. Wie ist es aktuell darum bestellt?

Sauter: Ich beschäftige mich seit 20 Jahren mit diesem Thema, und es ist nach wie vor so, dass das Bildungsfeld extrem differenziert ist. Wir finden heute Unternehmen, die in besonderem Maße innovativ sind und bei E-Learning und Social Learning spannende Konzepte umsetzen. Gleichzeitig gibt es aber auch Unternehmen, wo letztendlich die Bildungswelt noch genau so aussieht wie vor 50 Jahren.

STANDARD: Woran liegt das?

Sauter: Neue Systeme zu implementieren bedeutet immer einen Veränderungsprozess, weil sich die Rollen aller Beteiligten ändern. Egal ob Personalentwickler, -planer, Trainer oder Lerner - wir alle kommen von Lernkonzepten, die stark fremdgesteuert waren, wo die Lernenden eher passiv daran teilnehmen. Die Lernsysteme Social Learning und E-Learning werden aber stark vom Lernenden selbstorganisiert, sie haben das Heft in der Hand. Für die Trainer wiederum bedeutet das, dass sie die Fäden, mit denen sie vorher virtuos gespielt haben, aus der Hand geben müssen. Das kann zu Verunsicherungen, aber auch Ängsten bei den Trainern führen. Daher ist es auch wichtig, dass Trainer diese neuen Lernmodelle zuerst als Lernender kennenlernen. So können Sicherheit und Verständnis aufgebaut werden.

STANDARD: Worauf muss bei der Implementierung geachtet werden?

Sauter: Viele Unternehmen machen den Fehler, dass sie das Pferd von hinten zäumen. Der Standardfehler, der häufig gemacht wird, ist, zunächst einmal die IT-Abteilung zu beauftragen, passende Learning-Management-Systeme auszusuchen. Aber der entscheidende Unterschied zwischen den neuen Lernformen und den traditionellen Modellen ist nicht die Technik, sondern das Lernen an sich. Weg von fremdorganisiert, hin zu selbstorganisiert. Menschen gehen ja, weil sie es nicht anderes gewohnt sind, immer noch davon aus, dass Lernen bedeutet, sich irgendwie Wissen anzueignen. Nicht nur in der betrieblichen Bildung findet aber gerade ein Paradigmenwechsel statt, bei dem nicht mehr Wissens- und Qualifikationsziele, sondern Kompetenzziele im Mittelpunkt stehen. Für die Fähigkeit, selbstorganisiert Probleme lösen zu können, ist Wissen und Qualifikation zwar die notwendige Voraussetzung, aber nicht mehr das Ziel.

STANDARD: Selbstorganisation wird zur Schlüsselkompetenz. Besteht da nicht die Gefahr der Überforderung?

Sauter: Die Gefahr besteht immer, aber in der Praxis erleben wir das nicht wirklich. Die Lernenden werden bei den neuen Lernformen ja nicht alleingelassen. Die Entscheidung über die zu lernenden Bereiche und den Rahmen dafür treffen die Teilnehmer gemeinsam mit ihrer Führungskraft. Außerdem haben die Lernenden einen Partner, der, wenn jemand Gefahr läuft, sich zu überfordern, ihn auch wieder zurückholt.

STANDARD: Findet sich mit dieser neuen Art des Lernens jeder zurecht? Wer bleibt auf der Strecke?

Sauter: Die Gefahr, dass jemand auf der Strecke bleibt, ist im klassischen Bildungssystem viel größer. Beim traditionellen Lernen kann es dem Lehrenden gar nicht gelingen, jeden abzuholen. Es wird immer jemanden geben, der über- beziehungsweise unterfordert ist. Beim selbstorganisierten Ansatz definieren die Teilnehmer ihre Ziele selbst, die natürlich zu den strategischen Zielen des Unternehmens passen müssen.

STANDARD: In welche Richtung wird es weitergehen?

Sauter: In den nächsten zehn Jahren wird sich die Lerntechnologie so weiterentwickelt haben, dass wir mit humanoiden Computern, die menschenähnlich denken und handeln können, lernen werden. Diese können aufgrund von semantischen Fähigkeiten mein Erfahrungswissen speichern. Aber nicht nur Fakten, sondern auch, welche emotionalen Beweggründe bei Entscheidungen eine Rolle gespielt haben. Und in Zukunft wird der Computer immer mehr Entscheidungskriterien kennenlernen. Der Lernpartner Computer ist auf dem Vormarsch. (Gudrun Ostermann, FH-STANDARD, 7./8.12.2013)