Wir haben uns längst daran gewöhnt, beim Surfen im Internet ausgespäht zu werden. Schließlich ist alles nur zu unserem Besten. Das zumindest verspricht uns die Internetindustrie und liefert ungefragt scheinbar für uns passende Angebote und vorselektierte Informationen. Im Hintergrund werden dazu unsere Aktivitäten im Netz analysiert. In Sekundenbruchteilen wird von Computerprogrammen entschieden, welche Werbung oder welches Suchergebnis dem speziellen Nutzer angezeigt wird: "Big Data", so das Stichwort, gilt als Wachstumsmarkt.

Personalisierte Angebote auf dem eigenen PC sind nur der Anfang: Google versucht, die Reichweite seiner Aktivitäten auf alle vom Nutzer verwendeten Endgeräte auszudehnen, ein schlauer Schachzug, da für viele Anwender längst das Smartphone der häufigste Weg ins Internet ist. Ganz nebenbei verrät der kleine Lebensbegleiter dem Dienstanbieter auch, wo wir stehen, gehen oder fahren und damit viel mehr über unser Leben als nur der Besuch von Webseiten oder die Nutzung einer Suchmaschine.

Das Smartphone eignet sich auch zur Beeinflussung unse- res Alltagslebens, wie es mit Google Now längst versucht wird. Noch ehe der Nutzer etwas suchen oder eine Website ansurfen kann, antizipiert es schon unsere nächsten Schritte und liefert Antwor-ten auf noch nicht gestellten Fragen. Konsequent zu Ende gedacht, ist das Endergebnis dieser Entwicklung "der programmierte Mensch".

Telefónica hat 2012 angekündigt, Bewegungsdaten seiner Handy-Nutzer zu Geld zu machen. Weiters hat der spanische Telekomriese bei der Branchenmesse in Barcelona Anfang des Jahres mitgeteilt, in die Gespräche seiner Mobilfunkkunden hineinhören zu wollen und sich zwischenzeitlich auch an einem Unternehmen beteiligt, das das Verstehen natürlicher Sprache erforscht.

Die von den Onlineanbietern beförderte Vorstellung, dies geschehe nur zum Besten des Nutzers, hat nicht erst seit den Enthüllungen Edward Snowdens Risse bekommen. Denn was genau wie und wo mit den gesammelten Daten geschieht, entzieht sich dem Wissen und Einfluss des Internetanwenders und Smartphonenutzers, auch keine unabhängige Instanz, wie eine Art TÜV der Informationsgesellschaft, wacht über die ordnungsgemäße Verwendung der Daten oder die Tauglichkeit der verwendeten Algorithmen. Immer wieder werden Fälle bekannt, bei denen Nutzern konkrete Nachteile entstehen.

Zweifel an der Steuerung

Damit entstehen Zweifel an dem eingeforderten Vertrauen auf den unbekannten Automatismus im Hintergrund als Steuerungseinheit unserer aller Lebenswirklichkeit. Dabei geht es nicht um amüsante Irrtümer, sondern eher um das Erleiden konkreter Nachteile, etwa bei der Möglichkeit eine Krankenversicherung abzuschließen, einen Kredit zu erhalten, ein Flugzeug zu besteigen oder etwa in die USA einzureisen. Hier können Fehler im System weitreichende Folgen haben, der Einzelne hat jedoch keine Chance, sich dagegen zur Wehr zu setzen.

Die wesentliche Erkenntnis auch aus der NSA-Affäre lautet: Allein das Vorhandensein von Daten weckt Begehrlichkeiten und sorgt für immer neue Verwendungen. Die Technikgeschichte lehrt, dass alles, was gemacht werden kann, auch gemacht wird.

Diese Einsicht ist gerade heute wichtig, da wir an der Schwelle eines neuen Zeitalters stehen. Unsere Umwelt wird vielfach selbst zum Teil des Internets in dem, was mit "Internet der Dinge" oder dem "Allumfassenden Internet" ("Internet of Everything") bezeichnet wird. "Intelligente" Stromzähler, Haussteuerungen, Kühlschränke oder auch vernetzte Fahrzeuge werden zu Datenlieferanten - aktives "Surfen" im Internet nicht mehr notwendig.

Der Datenstrom des "intelligenten" Stromzählers hilft dem Energieversorger (oder dessen Servicepartner) nicht nur dabei, seine Kraftwerksauslastung besser zu planen oder differenzierte Tarifmodelle bereitzustellen, sondern auch dabei, festzustellen, wie viele Personen gerade zu Hause sind, unter Umständen sogar auch dabei, welches Programm im Fernsehen in einem speziellen Haushalt gerade läuft. (Eine Untersuchung der Universität Münster liefert dazu den Beleg).

Radaroptimierung

Auch liefern die Verkehrsdaten, die TomTom bei den Nutzern seiner Geräte einsammelt, nicht nur die Basis für besonders präzise Verkehrsinformationen, sondern quasi nebenbei auch der Polizei in den Niederlanden konkrete Handlungsempfehlungen für die ideale Positionierung von Radarfallen (TomTom hatte die Daten selbst an die Behörden verkauft). Aber selbst wenn der Betreiber eines Dienstes nicht mit den Behörden kooperiert, schützt das den Kunden nur bedingt. Ebenfalls in den Niederlanden wurde bekannt, dass die Finanzverwaltung die Betreiber von SMS-Parkdiensten zur Herausgabe der Nutzungsdaten zwingen wollen, im konkreten Fall um festzustellen, ob Fahrer von Geschäftswagen alles korrekt versteuern.

Mit einer durch die Entwicklungen rund um das Internet sensibilisierten Gesellschaft wird der Erfolg zukünftiger vernetzter Infrastrukturen in hohem Maße durch die Nutzerakzeptanz bestimmt. Anbieter tun gut daran, das angekratzte Vertrauen zu Onlinediensten durch geeignete technische Maßnahmen und Selbstverpflichtungen zu stärken. (Thomas R. Köhler, DER STANDARD, 10.12.2013)