Ein Injektisom unter dem Elektronenmikroskop: ausgeklügelter Angriffsmechanismus von Bakterien.

Foto: Kulcsar/Marlovits (IMBA/IMP)

Thomas Marlovits, Wissenschafter am Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA), erforscht
die Injektionsapparate von Mikroorganismen.

Foto: IMP/IMBA

Das Signal ist da, und alles gerät in Bewegung. Wie von magischer Hand dirigiert, machen sich die Bausteine auf den Weg zum Einsatzort. Es sind komplex gebaute Moleküle, wie Nanopartikel. Sie beginnen gemeinsam, eine winzige Maschinerie aufzubauen. Schon bald wird eine längliche Form erkennbar. Das Gebilde erinnert an eine Antenne oder einen Schornstein in Mikroformat. Doch es ist eine Waffe, raffiniert konzipiert für den Angriff auf kurze Distanz.

Was für Menschen noch wie Science-Fiction klingt, ist bei Bakterien längst im Einsatz - vermutlich bereits seit vielen Millionen Jahren. Fachleute bezeichnen die seltsamen Konstruktionen als Injektisome, auch Typ-3-Sekretionssysteme (T3SS) genannt. Man findet sie an der Oberfläche von Bakterienzellen, fest verankert in der inneren Zellmembran und aus der äußeren Zellwand emporragend.

Ihre Funktion ist die einer Injektionsnadel. Diese dockt sich an die Membran einer Zelle an und setzt anschließend verschiedene biochemische Kampfstoffe frei. Die Wirkung ist oft verheerend. Injektisome gehören bei zahlreichen Bakterienspezies praktisch zur Überlebensausstattung. Räuberische Wimpertierchen nutzen ähnliche Kleinstkanülen. Sie greifen damit ihre Beute, andere Einzeller, an und lähmen diese. Pathogene Bakterien hingegen setzen T3SS häufig zur Störung der Immunabwehr ein.

Aus evolutionsbiologischer Sicht werfen Injektisome noch viele Fragen auf. "Man könnte davon ausgehen, dass diese Strukturen sehr früh entstanden sind", erklärt Thomas Marlovits, Forscher am Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien. Der Hintergrund: Die Proteinbausteine der hohlen Nadeln und deren Verankerungen sind bei unterschiedlichen Bakterienarten ähnlich, ein konservatives Design, welches anscheinend von vielen Mikroorganismen übernommen wurde.

Auf Infektionsmodus

Der Bauplan für T3SS hat sich unter Krankheitserregern womöglich sehr schnell verbreitet. Die erforderlichen Gene liegen zu einem wesentlichen Teil auf der sogenannten Pathogenitätsinsel innerhalb der bakteriellen DNA, wie Marlovits erläutert. Der Erbgutabschnitt wird immer dann aktiviert, wenn bestimmte Veränderungen in ihrer Umwelt die Keime auf Infektionsmodus umschalten lassen, eine Überlebensstrategie. Die Pathogenitätsinsel wurde als Genabschnitt vermutlich auch horizontal weitergereicht, also nicht nur von Generation zu Generation, sondern zwischen individuellen Zellen. So werden unter anderem Antibiotikaresistenzen übertragen. Die Weitergabe kann sogar zwischen Bakterien unterschiedlicher Spezies erfolgen.

Die Frage nach dem Ursprung der Injektisome ist damit noch nicht geklärt. Vielleicht dienten die winzigen Röhrchen anfänglich zur Ausscheidung schädlicher Stoffwechselprodukte, meint Marlovits. Ein solch leistungsfähiger Exkretionsapparat hätte seinem Träger einen erheblichen Selektionsvorteil verschafft. Diese Deutung sei aber noch reine Spekulation, sagt der Molekularbiologe.

Den Experten ist vor kurzem mittels Spezialmikroskopie die detaillierte Beobachtung aktiver Injektisome gelungen. Als Modellorganismus diente ihnen Salmonella enterica serovar Typhimurium, Erreger höchst unangenehmer Magen-Darm-Infektionen. Die Injektionsapparate dieser Keime sind etwa 800 Ångström-Einheiten lang, was 80 Nanometern entspricht, ihr innerer Durchmesser beträgt nur rund 20. Die Moleküle der "Effektorproteine" indes, welche in die attackierten Zellen eingeschleust werden sollen, sind bis zu 50 Nanometer breit. Das passt eigentlich nicht.

Die Lösung dieses Problems: Wie jedes Eiweißmolekül sind auch die Effektorproteine komplex dreidimensional gestaltet. Bevor sie allerdings in die Hohlnadel eines T3SS eintreten, werden sie von zusätzlichen Strukturen an der Basis des Injektisoms komplett aufgefaltet, bis nur noch eine lineare Aminosäurenkette übrig ist. Diese kann nun ungehindert durch die Kanüle zum Ziel wandern.

Wie eine verstopfte Tube

Die IMBA-Forscher entdeckten jedoch, dass dieser Mechanismus gestört werden kann. Bei zusätzlichen Experimenten zwangen sie die Bakterien über genetische Manipulation zur Produktion veränderter Effektormoleküle, an deren Kettenende sich ein nicht entflechtbarer Knoten befand. Wie erwartet konnte dieser den besonders schmalen Eingang des T3SS nicht passieren. Das Injektisom war daraufhin komplett verstopft und wirkungslos.

Die elektronenmikroskopischen Aufnahmen zeigen sogar, wie bereits durchgeschleuste Teile des Effektorproteins nach Austritt aus der Nadelöffnung eine klumpenartige Struktur bilden. Ähnlich wie vertrockneter Kleber an der Spitze einer Tube Leim. Dies geschieht wohl infolge einer selbstständigen Rückfaltung des Eiweißmoleküls, vermutet Marlovits. Ein detaillierter Studienbericht wurde am Sonntag online vom Fachmagazin Nature Structural & Molecular Biology publiziert.

Die weitere Erforschung der T3SS hat großes medizinisches Potenzial, betont Marlovits. Durch die gezielte Blockade von Injektisomen ließen sich eventuell bakterielle Infektionen verhindern, oder man könnte die raffinierten Waffen vielleicht nutzen, um Antikörper in Krebszellen einzuschleusen. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 11.12.2013)