Pete Doherty erfüllte bei seinem Wienkonzert sämtliche in ihn gesetzte Erwartungen. Rausch als Stellvertreter-Kunst - Ersteren kann sich das Publikum dann halbwegs ersparen.

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Wien - Bei Keith Richards und Pete Doherty scheint es sich um die einzigen gut eingelegten Menschen des Planeten zu handeln, für deren Auftauchen Menschen bereit sind, viel Geld zu zahlen. Tendenziell verhält es sich dank des einst von Adalbert Stifter in einem Brief an seine Frau entwickelten Prinzips "Unsere Liebe wächst mit der Distanz" ja genau gegenteilig. Pro verhunztem Gitarrenriff und für jede vergessene Textzeile branden den zwei Lausern Richards und Doherty noch dazu regelmäßig Wellen der Liebe entgegen, wenn sie auf der Bühne nicht umfallen. Oder doch.

Funktionieren heißt zum Teufel beten. Deshalb schreie, gurgle, lalle so laut hinaus, wie es die Tonanlage hergibt: Fick das System!

Keith Richards ist heute Abend leider nicht hier. Er übt gerade daheim in den USA für die kommende Welttournee der Rolling Stones, wie man den Einsatz beim Song Start Me Up professionell so verpatzt, dass man sich nicht bei jedem Auftritt wieder extra darauf nicht konzentrieren muss. Deshalb nehmen wir heute im Gasometer mit der Holzklasse vorlieb.

Sagen wir es so: Eines verwundert in einer Welt, die aus Excess eine Parfüm-Marke und aus Anarchy ein Deodorant gemacht hat, wenig. Pete Doherty bekommt am Höhepunkt seiner in Wien gezeigten Liederlichkeit schon enthusiastischen Zwischenapplaus, wenn er nur einen kräftigen Schluck vom Feuerwasser nimmt. Die Vernunft, die sittliche Festigkeit und der bürgerliche Anstand werden von diesem seit Generationen in schöner Regelmäßigkeit besiegt.

Rausch, ein Refugium des Widerstands gegen das Rattenrennen da draußen. Und selbst zu diesem gelangt man nur über Konsum. Feuer, Symbol des Lebens und des Geistes. Zur Not und deren -aufnahme auch Sinnbild der Auferstehung! Das ist ein starker Gegenentwurf zur Welt der angepassten faden Urscheln da draußen in Wien und weit über die EU-Außengrenzen hinaus!

Pete Doherty ist heute Abend sehr tapfer. Erstens erscheint er zum Konzert. Das war die letzten Male auf Tournee nicht so selbstverständlich. Man kann nicht gleichzeitig Bühnen und Klatschspalten bespielen und auch noch darauf warten, dass sich der Dealer mit den Haschischspritzen hoffentlich einmal nicht verspätet. Zweitens kommt er mit nur halbstündiger Verspätung auf die Bühne. Das macht nichts. Die Hälfte der 2800 Besucher versucht in der Zwischenzeit ohnehin draußen vor dem Saal an den Bars, dem Star des Abends ausschweifungsmäßig nachzueifern.

Performancekunst und Musik

Pete Dohertys Band nennt sich Babyshambles, also kleines Chaos. Entsprechend fetzig und zerschossen und metrische Vorgaben großräumig umgehend wirft man sich in die Lieder. Die holpern, stottern, gurgeln und japsen in der Tradition Altvorderer wie The Clash oder The Kinks. Sie versuchen, einen Brückenschlag aus knieweichen Fussballchören, wankenden Balladen sowie weichgesoffenem Hauruck-Punk zu bewerkstelligen. Gleichzeitig werden mit dem Spielbein auf die Bühne fliegende Bierbecher zurück ins Publikum gekickt.

Es ist also abgesehen von der losen Songhandhabung auch sonst einiges los, von dem man sich gut unterhalten lassen kann. Allerdings meint es ein Performancebesucher besonders gut. Er wirft Pete Doherty nach einer Dreiviertelstunde einen Bierbecher mitten ins Gesicht. Vielleicht auch zur Strafe, weil sich zwischen Scheiß-drauf-Lieder wie Delivery oder Nothing Comes To Nothing eine als britische Trinkspielhymne getarnte Polonäse Blankenese im Schunkelrhythmus geschlichen hat, die den Saal restlos begeistert:

"Das Orchester auf der Bühne packt der Wahnsinn/ Der Pianist reißt alle Tasten 'raus/ Die Tuba bläst dem Trompeter das Toupet weg/ Der Dirigent weint und schreit: 'Licht aus!' Unten tobt das Volk bereits im Laufschritt/ Die Bänke fliegen tief, die Tische auch/ Der Wirt schmeißt sich schützend über'n Aufschnitt/ Das Chaos tobt, der Boden schwankt - wir auch. Jetzt fliegen gleich die Löcher aus dem Käse ..."

Pete Doherty bricht das Konzert ab. Nach 15 Minuten kehrt er kommentarlos auf die Bühne zurück. Er macht sich obenrum nackig und dann den Hitlergruß. Es folgt noch eine Handvoll nicht mehr fahrtüchtiger Songs. Am Ende die eine große Hymne Pete Dohertys an den Kater, den einem das Leben macht: Fuck Forever. Über Für und Wider der Drogenliberalisierung ein anderes Mal. (Christian Schachinger, DER STANDARD, 12.12.2013)