Wer sich hinter der Bewerbung verbirgt, wird bei anonymen Verfahren erst beim Vorstellungsgespräch ersichtlich.

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Rocco Thiede, jahrelang Journalist und Pressesprecher, ist Herausgeber des Buches "Chance für alle - Anonyme Bewerbung". In Berlin hat er sich mit einem "Medienbüro" selbstständig gemacht.

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Im Buch "Chance für alle - Anonyme Bewerbung" (Herder Verlag) wird Bilanz über das deutsche Pilotprojekt gezogen. Porträtiert werden auch Personen, die von anoymen Bewerbungsverfahren profitierten.

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Obwohl er damals erst Mitte 40 war, musste Rocco Thiede am eigenen Leib erfahren, wie schwer das Alter wiegen kann. "Ich habe für die größten Medienunternehmen gearbeitet, aber trotzdem keine Einladungen zu Vorstellungsgesprächen erhalten", sagt Thiede heute. Vor ein paar Jahren zog der Journalist aus familiären Gründen nach Berlin. Die Jobsuche war steinig, trotz zahlreicher Bewerbungen mit fein garniertem Lebenslauf.

Ob es wirklich Fälle von Altersdiskriminierung waren, jetzt ist Thiede mit einem Medienbüro selbstständig, oder ob er einfach nicht ins Jobprofil der jeweiligen Medien passte, lässt sich nicht eruieren. Nur: Hätte es anonyme Bewerbungsverfahren gegeben, wären seine Chancen besser gewesen, davon zeigt sich der heute 50-Jährige im Gespräch mit derStandard.at überzeugt.

Pilotprojekt mit acht Unternehmen

Von einem solchen Prozedere konkret profitiert haben jedenfalls vier Personen, sie werden in dem Buch "Chance für alle – Anonyme Bewerbung" porträtiert. Herausgeber ist Rocco Thiede, das Buch entstand im Auftrag der deutschen Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS). Die Institution initiierte im Jahr 2011 ein Pilotprojekt zu anonymisierten Bewerbungsprozessen. Beteiligt waren acht Unternehmen aus Deutschland, darunter befanden sich etwa die Deutsche Post, die Deutsche Telekom und L'Oréal. Besetzt wurden 246 Positionen, eine Bilanz ist jetzt in Buchform nachzulesen.

Um personenbezogene Angaben bereinigt

Bei anonymisierten Bewerbungen wird auf ein Foto des Kandidaten, den Namen, die Adresse, das Geburtsdatum sowie Angaben zu Familienstand und Herkunft verzichtet. Die Unterlagen enthalten entweder keine oder kaum personenbezogene Daten – je nach Verfahren. Ein Weg, um die Qualifikationen ins Zentrum zu rücken und um Stereotype zu eliminieren. Was in den USA schon länger Usus ist, kommt in Europa gerade erst in Mode. Großbritannien, Belgien oder skandinavische Länder exerzieren es zwar schon vor, Staaten wie Deutschland agieren aber noch zögerlich. Vor allem öffentliche Institutionen könnten eine Vorreiterrolle einnehmen, meinen Befürworter. Erste Versuche in Österreich startete das Frauenministerium, eine Auswertung des Projekts liegt noch nicht vor.

Überzeugen beim Vorstellungsgespräch

Eine der Stellen im Rahmen des deutschen Pilotprojekts ging an den 48-jährigen Steffen Müller. Seinen letzten Job als Metzger konnte er infolge eines Arbeitsunfalls nicht mehr ausüben, er gilt als schwerbehindert. Längere Arbeitslosigkeit war die Folge, kürzlich fand er in der Verwaltung der Stadt Celle einen neuen Job. Als Unterstützung erwies sich das anonyme Bewerbungsverfahren. "Der hätte sonst wahrscheinlich nie wieder einen Job gefunden", sagt Rocco Thiede über Müller: "Es geht darum, die erste Hürde zu überschreiten, dass man überhaupt zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wird."

"In jedem Job sollte nur die Qualifikation zählen", das wünscht sich Thiede. Namen, Geschlecht, Behinderungen oder Fotos könnten zu Animositäten führen. Alles Selektionskriterien, die er selbst kennt, "auch ich habe Leute eingestellt". Immer wieder sind Diskriminierungsmechanismen im Spiel. Offiziell sind sie bei Stellenvergaben verboten, sehr oft tauchen sie aber übers Unterbewusstsein auf - etwa bei der Beurteilung von Bewerbungsfotos: "Ist mir die Person jetzt sympathisch, oder nicht?"

Softwareprogramm könnte Auswahl übernehmen

Die fairste Rekrutierungsmethode ist für Thiede eine computergestützte. Ein Softwareprogramm übernimmt die Auswahl, welche Bewerber zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden. "Ich gebe diese und jene Kriterien vor und wenn sie ein Kandidat erfüllt, kommt er in die nächste Runde." Bewerbungen könnten standardisiert und online erfolgen. Die Spreu vom Weizen werde ohnehin beim Gespräch getrennt. Für Unternehmen rechne sich so eine Software, glaubt Thiede: "Sonst brauche ich ja eine Person, die sich alle Bewerbungen anschaut."

Natürlich, räumt Thiede ein, ließen sich auch über anonyme Bewerbungen Rückschlüsse auf Geschlecht oder Alter ziehen. Etwa wenn die beruflichen Stationen oder die Art der Ausbildung angegeben werden. Und nicht alle Jobs kämen für diese Methode in Frage. Grenzen sieht er beispielsweise bei Spitzenpositionen und Berufen, die sich in der öffentlichen Sphäre abspielen. Dennoch: "Ein Weg in Richtung mehr Gerechtigkeit" seien solche Bewerbungsverfahren allemal.

Frauen und Personen mit Migrationshintergrund

Untermauert wird seine Einschätzung durch die Evaluierung des Pilotprojekts. Zu den Profiteuren von anonymisierten Bewerbungsverfahren gehören vor allem Frauen und Personen mit Migrationshintergrund, derStandard.at berichtete über die Ergebnisse. Zu Bewerbungen ermutigt würden auch ältere Personen, die es jetzt ob der Sinnlosigkeit lassen, schätzt Thiede. Sollten sich anonyme Verfahren in den nächsten zehn Jahren nicht durchsetzen, plädiert er für eine gesetzliche Verpflichtung. "Ich bin mir aber sicher, dass es bei meinen Kindern, die jetzt in die Schule gehen, selbstverständlich sein wird." (Oliver Mark, derStandard.at, 17.12.2013)