Gelbflanken-Spitzmausbeutelratten haben im Vergleich zur Körperlänge die mächtigsten Eckzähne. (Illustration aus dem Reisebericht der H.M.S. Beagle, 1838)

Foto: BHL / Thomas Bell

Säbelzahntiger und andere prähistorische Raubtiere beflügeln immer wieder Fantasie und Neugier unter Vorschulbuben wie unter Zoologie-Professoren. Ein Rätsel darf nun als gelöst gelten: das der heutigen nächsten Verwandten des Säbelzahntigers - Wissenschafter aus Uruguay und Australien haben das lebende Gegenstück zum prähistorischen Smilodon ermittelt.

Es handelt sich dabei um eine kleine Beutelratte, welche die Graslandschaften Uruguays, Brasiliens und Argentiniens bevölkert. Monodelphis dimidiata, so der wissenschaftliche Name der Gelbflanken-Spitzmausbeutelratte, fällt durch zwei Besonderheiten auf: Sie wird gerade mal ein Jahr alt und erlegt nach Art der Säbelzahnkatzen Beutetiere, die größer sind als sie selbst.

Das Forscherteam von der Universidad de la República in Montevideo und der University of Western Australia in Crawley untersuchte in zwei Naturkundemuseen in Uruguay und Australien die Skelette von 44 heute noch lebenden Beutelratten auf ihre anatomische Verwandtschaft mit Säbelzahnraubtieren. Dabei analysierten sie Schädel, Kiefer und Eckzähne auf 14 Merkmale hin.

Das "Pygmäen-Säbelzahnraubtier" hat unter allen Beuteltieren - in Relation zur Körpergröße - die größten Eckzähne, schreiben die Forscher im "Journal of Zoology". Die relative Größe der Eckzähne entspricht der von Säbelzahnkatzen. Auch die Schädel haben mit Säbelzahnkatzen die Gemeinsamkeit, dass der Unterkiefer sich extrem weit öffnen lässt. "Die Folge ist eine geringe Beißkraft", schreiben die Forscher um den uruguayischen Biomechaniker Rudemar Ernesto Blanco.

Biss in die Halsschlagader

Diese Schwäche gleichen kräftige Vordergliedmaßen aus: Spitzmausbeutelratten fixieren ihre Beute damit und halten sie von sich fern, bis der tödliche Biss erfolgt ist. So reduzieren sie das Risiko, dass ihre Eckzähne brechen. Verhalten und Anatomie entsprechen exakt dem, was über prähistorische Säbelzahnraubtiere bekannt ist.

Mit ihren gebogenen Eckzähnen tötet die Beutelratte ihre Beute per Biss ins Genick oder in die Halsschlagader. "Dieses morphologische Muster ähnelt dem primitiver fossiler Säbelzahn-Tierarten", schreiben die Wissenschafter. Ein direkter Verwandter der Säbelzahnkatzen ist die Spitzmausbeutelratte aber natürlich nicht. Beide Gattungen haben ihre Fangzähne während der Evolution unabhängig voneinander entwickelt.

Die letzten Säbelzahnkatzen sind vor etwa 12.000 Jahren ausgestorben. Der geologisch jüngste Fund, rund 28.000 Jahre alt, stammt aus der Nordsee, die in der Eiszeit Festland war. Um die Urzeit-Raubtiere näher erforschen zu können, so Blanco, fehle es an einem gut konservierten Fund im Permafrost.

Rückschlüsse auf Smilodon

Alternativ können weitere Studien an lebenden Gelbflanken-Spitzmausbeutelratten die Evolution der Säbelzahnkatzen erhellen. Bislang galt der Nebelparder, eine eher smarte Großkatzenart aus Südostasien, als das Raubtier mit den größten Anleihen bei Smilodon und Artverwandten.

Spitzmausbeutelratten gehören wie Opossums zur Familie der Beutelratten. Die von Panama bis Patagonien heimischen Arten jagen vor allem Mäuse, Insekten und Spinnen. Gelbflanken-Spitzmausbeutelratten bringen nur ein einziges Mal in ihrem Leben Nachwuchs zur Welt. Die 100 bis 150 Gramm leichten Männchen sterben meist alle im März, die halb so schweren Weibchen zwei Monate darauf.

"Die überentwickelten Eckzähne sind offenbar auch für den Konkurrenzkampf unter den Männchen bestimmt", so die Studie. Die kurze Lebenserwartung erhöht den Auslesedruck. Wer beim Säbelzahn-Duell unterliegt, pflanzt sich nicht fort und ist biologisch aus dem Rennen. (Kai Althoetmar, DER STANDARD, 18.12.2013)