Martin Sonneborn in Wien.

Foto: Michael Freund
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Foto: www.die-partei.de

Er sagt Sätze wie: "Wenn wir erst mal an die 50 Prozent im Bundestag kommen und die Macht übernehmen, dann wird's gefährlich und auch interessant", und man fragt sich, spinnt der?

Denn als Nächstes kommt die Feststellung: "Wir sitzen schon in Lübeck, da haben wir einen Stadtabgeordneten, der möchte eine U-Bahn bauen lassen."

Dann gibt er allerdings zu bedenken: "Ich bin für eine absolute Ernsthaftigkeit gerade im Spaß- und Satirebereich, und diesen Kurs steuern wir mit 'titanic' und mit der Partei an."

Martin Sonneborn ist schwer zu fassen. Der Mann, der die deutsche Satirezeischrift leitete und ihren Ableger "Die PARTEI – Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiativen" mitgegründet hat, kann mit ernsthafter Miene wahnsinnig klingende Positionen vertreten und im nächsten Augenblick, verbindlich freundlich, sich klug über die literarische Bedeutung von Tucholsky äußern. Er plakatiert die politische Forderung "Inhalte überwinden!" und argumentiert zugleich überzeugend, wie man damit die Inhaltsleere von Parteien ad absurdum führen und dabei seine Hetz haben kann: indem man etwa zur ersten iDemo aufruft, vor dem Brandenburger Tor, und dort auf iPads die Forderungen hochhält, die in den Tagen zuvor von angeblich tausenden Bürgern an die Homepage der "PARTEI" geschickt worden sind. Botschaften an "das Merkel" (wie die Kanzlerin im Magazin und von der Polit-Truppe prinzipiell tituliert wird) etwa von der Art "Frauenquote auch für Männer!", „Hier könnte Ihre Parole stehen", "Nachteile abschaffen!" oder "Zwei Bier!"

Daraus wurde schnell ein Buch, denn "wir haben auch in der Literatur Inhalte überwunden: ein paar Bilder - und sonst nur Großgedrucktes." Die Leute würden ja nicht mehr lesen. Und um dieses Buch – "Bundesliga raus aus Afghanistan!" (Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2013) – vorzustellen, ist Sonneborn nach Wien gekommen. Eingeladen hat ihn der Ko-Herausgeber Matthias Spaetgens, Professor für Werbung und Grafik an der Angewandten in Wien und Geschäftsführer der Berliner Werbeagentur Scholz & Friends, bekannt unter anderem für die blendende "FAZ"-Kampagne.

Kreative Polit-Subversion

Spaetgens hat seinen Mitstreiter in Sachen kreative Polit-Subversion schon einmal vor drei Jahren an die Uni geholt, und Sonneborn kennt Wien noch viel länger. 1965 in Göttingen geboren, in Osnabrück an einer katholischen Privatschule (wahrscheinlich keine schlechte Voraussetzung für die Leitung eines gotteslästerlichen Monatsmagazins), dann zum Studium der Publizistik, Germanistik und Politikwissenschaft in Münster, kam er zu Beginn der Neunzigerjahre an die Uni Wien und begann mit seiner Magisterarbeit über die Möglichkeiten und Grenzen von Satire.

Dass nun die Rede auf Karl Kraus kommt, ergibt sich fast von selbst. Er verehrte ihn schon von der Ferne und vor Ort erst recht, obwohl ihm eine Kollegin hier sagte, der sei ja überschätzt und nur zweitrangig. "So ein Quatsch. Es gibt wenige Leute, die im Komischen, Polemischen und in der Analyse so gültig sind wie Kraus. Man kann ihn heute noch lesen, man muss nur neue Gipsköpfe einsetzen. Glasklar, polemisch und komisch formuliert."

Für seine Uni-Arbeit konzentrierte Sonneborn sich auf das 1979 gegründete "titanic"-Magazin– und blieb schließlich dort. Nachdem er akademisch argumentiert hatte, dass Satire in Printmedien nicht mehr viele Chancen hat (in einem Sprachgebiet, in dem immerhin das einst sehr erfolgreiche "pardon" erschienen war), machte er es sich zur Aufgabe, unter dem Logo eines untergehenden Schiffs das Gegenteil zu beweisen. Dem eigenen Bekunden nach scheint es ihm zu gelingen.

Die Redaktion habe zunächst Heft für Heft ausgelotet, wie weit man gehen kann, bis man verklagt wird. Das mutet manchmal wie "l'art pour l'art" an, wenn alles, was Rang und Namen hat, auf den Covers zur lächerlichen Figur wird – "Kohl gedopt!", der Papst, der sich an einem Kruzifix zu schaffen macht, Osama Bin Laden ("Kann er Schäuble stoppen?"), "Bundespräsident" Roberto Blanco ("Warum nicht mal ein Neger?"), Joschka Fischer ("Halt durch, Arschloch!"), und was es sonst an möglichst politisch Unkorrektem bis Gemeinem zu verbreiten gibt. Ein Titelblatt, das es zu Poster-Ehren brachte, war kurz nach dem Mauerfall die "Zonen-Gaby (17) im Glück (BRD)", die eine Salatgurke in der Hand hält und strahlt: "Meine erste Banane".

Realsatire einer politischen Partei

Das ist die eine Seite der "titanic", die den Machern irgendwann zu wenig, vielleicht auch zu billig war. Also gründeten sie 2009 die Realsatire einer politischen Partei – nachdem Sonneborn laut eigener Angabe bereits in allen Parteien Deutschlands Mitglied war, ohne je einen Beitrag zu zahlen (nachzulesen in seinem "Das PARTEI-Buch. Wie man in Deutschland eine Partei gründet und die Macht übernimmt", Kiepenheuer & Witsch, 2009). Die "PARTEI"-Leute treten bei Wahlen offenbar vor allem deswegen an, um die Probe aufs Exempel zu machen – zum Beispiel, ob sie überhaupt zugelassen werden, was ihnen bei den Bundestagswahlen 2009 nicht gelang, bei diversen Regionalwahlen aber sehr wohl und in diesem September auf Bundesebene ebenfalls.

Sie kommen dann auf 0,5 bis 2 Prozent, feiern das als "bestes Ergebnis seit Kriegsende" und rühren im Wahlzirkus kräftig mit. Da sie als legitime politische Gruppierung Anrecht auf Sendezeit im öffentlich-rechtlichen Fernsehen hat, nutzt die Partei sie, um etwa einen unscharfen Porno zu senden ("ein Beitrag zum Thema Familienpolitik") oder um Product-Placement zu betreiben. Es kam tatsächlich zu einem Deal, vermittelt von Spaetgens Agentur, zwischen den Sonneborn-Leuten und dem Billigflieger HLX, der Plastikflugzeuge vor der Kamera schaukeln ließ, während Sonneborn ungerührt sein Manifest vorlas, eine HLX-Stewardess Kaffee servierte und im Hintergrund die deutsche Fahne umkippte.

Alles auf Youtube nachzusehen. Alles nur Klamauk? Nein, sagt Sonneborn: "Zur Satire gehören Komik, Aggressivität und ein ernsthaftes Anliegen." Darum seien sie auch keine Spaßpartei, wie sie die Medien in Deutschland meist definieren. "Spaßpartei, das ist die FDP!" Ein Anliegen der "PARTEI"-Genossen ist es, die politische Kultur durch Aktionen bloßzustellen, wobei sie agieren wie eine Kreuzung aus Günter Wallraff und einer Clowntruppe. Wenn sie nicht ihre Polit-Uniform tragen – Billigstanzüge aus Polyester von C&A –, dann verkleiden sie sich als Vertreter der "normalen" Parteien, bauen Info-Stände auf belebten Plätzen auf und legen mit Slogans los, die Entgleisungen ihrer Konkurrenten bloß ein wenig steigern. Auf antisemitische Äußerungen von Jürgen Möllemann (FDP) reagierten Sonneborn & Co seinerzeit mit Slogans wie "Deutsche, wehrt euch! Wählt FDP!"

Viele dieser Aktion sind im "PARTEI"-Buch beschrieben, in einer so lakonischen Weise, dass man vor Lachen Tränen in den Augen hat – und gleich weiterweinen möchte, wenn man sieht, wie viele der angesprochenen Bürger den infamsten Parolen und Vorschlägen der Guerilleros recht geben.

Ein ernsthaftes Anliegen, in der Tat - und zugleich eine Schau. Sonneborn & Co halten ihrer Umgebung – den Parteien, den Medien, allem, was gut und teuer ist, den sprichwörtlichen Spiegel vor, aber der ist so aktionistisch vollgespritzt, dass man versucht ist, mehr auf ihn zu schauen als auf das, was er reflektiert.

Weniger in diese Versuchung kommt man, wenn man Sonneborn in einem anderen Aktionsfeld beobachten kann. Für Oliver Welkes "Heute Show" im ZDF, also im Rahmen des Öffentlich-Rechtlichen, arbeitet er als Außenreporter. Er lässt Interviewpartner ins Bockshorn laufen, sich selbst entlarven, sich so blamieren, dass das zu Entlassungen führen kann. "Kollateralschäden", nennt er das nur halb bedauernd. Wer sich in die Medien wagt, noch dazu zu einem, der ein ZDF-Mikro in der Hand hält ("das nützt!"), der kann in ihnen umkommen.

Egal, wo man ihn sieht, ob auf dem Bildschirm, in Foto-Strips im Magazin, in den zahlreichen Illustrationen des "PARTEI"-Buchs, Sonneborn scheint immer in seinem Element zu sein: der seriös wirkende Herr, bei dem man nicht weiß, ob er verrückt ist oder es vielleicht doch alle andern sind.

Machtübernahme auch in Österreich

Auch am Abend im zum Bersten vollen Atrium der Angewandten ist das so. Er steht am Rednerpult, blauäugig, aber nur im Wortsinn, mit einer kleinen Haartolle fast wie Tintin alias Tim (und Struppi), aber über einer deutlich höheren Stirn. Er holt aus und verkündet die Machtübernahme, auch in Österreich. Er jongliert mit Zahlen und Zielen: Das geteilte Deutschland sei wieder herzustellen. (Zuvor hat er dazu bemerkt, dass es nun leider keinen Widerpart zum Kapitalismus mehr gebe, den müsse man neu schaffen: die alte DDR als funktionsfähiges kommunistisches Schreckensregime; er habe das Gregor Gysi vorgeschlagen, doch der wollte das lieber im alten Westdeutschland errichten, also müsse wohl er, Sonneborn, den Ost-Part übernehmen.)  Er zeigt Bilder aus seinem deutschen Wahlkampf, die Plakate und Parolen: "Bla bla, blablabla blabla blablabla", "Wenn Sie uns wählen, lassen wir die 100 reichsten Deutschen umnieten", "Merkel ist doof". Er lässt gleichzeitig die Ödnis der gängigen Phrasen anklingen, und wieder weiß man nicht, ob es mehr zum Lachen oder zum Weinen ist.

Das Publikum neigt zu Ersterem. Die Wiener Studenten sind begeistert. Dass Sonneborn hier und jetzt, kurz nach der Vorstellung der neuen großen Koalition, den "Sturz des Faymann-Regimes" fordert und dabei solchen  Erfolg hat, das ist kein Zufall. Klamauk hin, Spaßguerilla her, er stößt in eine Wunde. Wir hätten es kommen sehen können. Die Forderung Nr. 24318 auf der Berliner iDemo lautete: "Österreich is schuld. (An alles)". (Michael Freund, derStandard.at, 19.12.2013)