Vor zwei Jahren protestierten Kritiker in Wien gegen die Einführung der Vorratsdatenspeicherung - aber vergeblich. Nun schöpfen Netzaktivisten wie Thomas Lohninger wieder Hoffnung.

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Der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof, Cruz Villalón, hat dem EuGH vergangene Woche sein Gutachten über die Zulässigkeit der Vorratsdatenspeicherung vorgelegt. Villalón bezeichnet darin die aktuelle EU-Richtlinie als unvereinbar mit der Grundrechte-Charta der EU und bemängelte vor allem die lange Speicherdauer der Vorratsdaten. Der Prozess war unter anderem durch die Initiative AKVorrat und eine Verfassungsbeschwerde der Kärntner Landesregierung zustande gekommen. Wie zufrieden sind die Kläger mit dem Gutachten? Thomas Lohninger über die möglichen Folgen des Gutachtens und den "Triumph der Zivilgesellschaft".

STANDARD: Die AKVorrat hat in einer Aussendung das Gutachten des EU-Generalanwalts als "Etappensieg" bezeichnet. Was sind die nächsten Etappen im Kampf gegen die Vorratsdatenspeicherung?

Lohninger: Die nächste Etappe ist die Urteilsfindung der Richter. In 80 Prozent der Fälle schließt sich der Richtersenat dem Gutachten des Generalanwalts an. Fix ist das aber nicht, es könnte sich noch immer etwas ändern. Wenn das Urteil so kommt, wie es im Schlussantrag formuliert ist, würde das bedeuten, dass der EuGH die EU-Kommission auffordert, die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung binnen einer Frist zu reparieren. So lange hätte die EU dann Zeit, eine neue Richtlinie erlassen, bevor die alte außer Kraft tritt.

Der große Sieg an diesem Gutachten ist, dass die vorliegende Vorratsdatenspeicherung laut Generalanwalt nicht mit der Grundrechte-Charta der EU vereinbar ist. Das ist ein Triumph für die Zivilgesellschaft und die 11.139 Mitklägerinnen und Mitkläger der Verfassungsklage, deren Bedenken offiziell recht gegeben wurde.

STANDARD: Finden Sie kritikwürdige Punkte im Gutachten? Grundsätzlich ist der Generalanwalt ja nicht wie die AKVorrat gegen Vorratsdatenspeicherung per se, nennt sie vielmehr durchaus erforderlich "zum Zweck der Ermittlung, Feststellung und Verfolgung schwerer Strafdaten"?

Lohninger: Unser Wunsch wäre gewesen, dass der EuGH eine generelle Absage an pauschale Speicherungen erteilt - das wäre das ein sehr starkes Signal gewesen. Aber er lässt das Fenster offen für eine Reparatur der Richtlinie. Es kann also noch eine neue Vorratsdatenspeicherung geben, aber nur mit Auflagen. Es braucht nämlich zunächst objektives Datenmaterial, das die Nützlichkeit der Vorratsdatenspeicherung belegt und prüft, ob nicht schon ein gelinderes Mittel bei der Verbrechensbekämpfung reichen würde. Es muss also bewiesen werden, dass die Vorratsdatenspeicherung ein geeignetes Mittel zur Bekämpfung schwerer Straftaten darstellt. Bis heute fehlt dieser Nachweis allerdings, obwohl es die Vorratsdatenspeicherung in den meisten EU-Ländern schon seit Jahren gibt.

STANDARD: Laut einer parlamentarischen Anfragebeantwortung des Justizministeriums wurde im ersten Jahr der Vorratsdatenspeicherung 326-mal auf diese Daten zugegriffen ...

Lohninger: Sieht man sich diese parlamentarische Anfrage an, wird deutlich, für welche Bagatelldelikte Vorratsdaten in Österreich genutzt werden und wie niedrig hierzulande die Schwelle ist, auf diese Daten zuzugreifen. Außerdem wird klar, dass ein Zugriff nicht automatisch zur Aufklärung des Verbrechens führt. Es fehlte also schon bei kleineren Delikten der Nachweis der Sinnhaftigkeit, bei organisiertem Verbrechen oder gar Terrorismus ohnehin.

STANDARD: Welche Schritte erwarten Sie von der neuen Bundesregierung?

Lohninger: Wir erwarten uns von der neuen Bundesregierung, die Vorratsdatenspeicherung in Österreich abzuschaffen und sich in Europa für eine Aufhebung der Richtlinie einsetzen. Außerdem soll Österreich selbst auch Daten zur Verwendung von Vorratsdaten und ihrem Nutzen bei der Strafverfolgung veröffentlichen.

STANDARD: Welche Kompromisse sind möglich - angenommen, die Vorratsdatenspeicherung kommt: Welche Mindestspeicherdauer, Mindestgarantien fände die AK-Vorrat akzeptabel?

Lohninger: Zuerst müssen wir die Entscheidung des EuGH abwarten, wir haben ja noch kein Urteil. Wenn es eine Reparatur geben soll, dann braucht es zuerst einmal wissenschaftlich erhobenes Datenmaterial, um den Nutzen zu prüfen. Davor kann man an keine Wiedereinführung denken und sollte auch nicht über Speicherfristen diskutieren. Wenn die Kommission den Nachweis über objektives Datenmaterial nicht erbringen kann, muss als Konsequenz die Vorratsdatenspeicherung abgeschafft werden. (Fabian Schmid, DER STANDARD, 19.12.2013)