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Jürgen Knoblich in seinem Labor am IMBA: Er fordert die Wissenschaftscommunity auf, mehr Stammzellforschung zu betreiben.

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Standard: Herr Knoblich, wissen Sie eigentlich, wie viele Medien Ihr Hirn aus der Petrischale aufgegriffen haben?

Knoblich: Nach unserem Pressespiegel haben etwa 500 Medien in den ersten Tagen nach der Veröffentlichung über uns berichtet. Allerdings umfasst der ja nicht die gesamte internationale Presse. Da könnte es fast doppelt so viele Beiträge gegeben haben.

Standard: Was war der tatsächliche Durchbruch Ihrer Arbeit, die Hirnentwicklung oder ihre Technik, die es letztlich möglich machte?

Knoblich: Sicherlich steht die Technologie hier im Vordergrund. Wichtig wird sein, wie man diese hirnartigen organähnlichen Strukturen anwendet. Sie entsprechen ja der frühen Hirnentwicklung im menschlichen Embryo. Es wäre also möglich Medikamente zu testen, um zu prüfen, welche Auswirkungen sie auf die Entwicklung haben. Wir selbst untersuchen eine Erbkrankheit, bei der viel zu wenige Nervenzellen generiert werden. In Zukunft könnte es aber auch möglich sein, andere Störungen zu untersuchen, die in der frühen Entwicklung auftreten. Dazu zählen vielleicht Schizophrenie oder Autismus.

Standard: Sie sagen, man könne aus so einer hirnähnlichen Masse, niemals ein richtiges Gehirn züchten. Aber ein Auge hat sich doch schon entwickelt?

Knoblich: Es haben sich Vorstufen des Auges entwickelt. Also, wir haben unsere Organoide bis zu einem Jahr kultiviert. Das Ergebnis lautete: Je länger wir sie wachsen ließen, desto mehr entfernten sie sich von einer hirnartigen Struktur. Da fehlen einfach die notwendige Umgebung und Reize. Unsere Retina etwa: Hätte das ein Auge werden wollen, hätte es sich irgendwann umstülpen müssen. Hat es aber nicht, weil kein Schädel, keine Augenhöhle vorhanden war. Weil einfach die Bedingungen nicht stimmten.

Standard: Wenn die Bedingungen stimmen: Wann glauben Sie, kommt man an ethische Grenzen und wo muss man diese ziehen?

Knoblich: Ethische Gedanken mache ich mir bei jedem Tierversuch. Bei einer Masse aus sich selbst organisierenden Neuronen aber sehe ich diese Bedenken noch nicht. In absehbarer Zeit werden wir sicherlich nicht in der Lage sein, Bedingungen zu schaffen, die der Entwicklung des Gehirns gleichkommen.

Standard: Haben Sie die Quantencomputer-Architekten mit dem Minihirn medial überholt?

Knoblich: Das würde ich so nicht sagen. Wir sind ja keine Konkurrenten der Quantenphysiker. Es zeigt sich allerdings immer häufiger, dass Österreich inzwischen in verschiedenen Fachgebieten Spitzenforschung betreibt. Das ist doch gut.

Standard: Ich möchte auf einen Trend zu sprechen kommen, der Computertechnologie und Life-Sciences miteinander verknüpft: Datenspeicherung in biologischen Molekülen. Kann irgendwann so ein Nervenzellgebilde in einem Computer arbeiten?

Knoblich: Daran wird bereits experimentiert. Es gibt Bemühungen Nervenzellen mit Halbleitern zu verschalten und Informationen weiterzuleiten. Ich glaube, da gibt es durchaus erfolgversprechende Ergebnisse, aber das fällt nicht ganz in meinen Bereich.

Standard: Was hat man in Wien am Institut für molekulare Biotechnologie IMBA richtig gemacht, um Sie zu halten?

Knoblich: Am IMBA, aber auch am Institut für Molekulare Pathologie IMP herrschen ideale Forschungsbedingungen. Wir genießen extrem viele Freiheiten, haben die Ruhe dafür und sind auch noch finanziell gut ausgestattet. Auch müssen wir uns hier nicht so viel mit Bürokratie und Reports herumplagen wie vielleicht an anderen Orten.

Standard: Das hört sich zufrieden an. Gibt es denn etwas, was Sie auszusetzen haben?

Knoblich: Na ja, ich fühle mich mit meiner Stammzellforschung hier schon ziemlich einsam auf weiter Flur. Weltweit sind in den letzten zehn Jahren etliche Stammzellforschungsinstitute gegründet worden. Das sollte man sich in Österreich auch überlegen. (Edda Grabar, DER STANDARD, 24.12.2013)