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Der Gesamtbestand des Europäischen Aals ist deutlich geschrumpft.   

Foto: Michel Roggo/Nature Picture Library/Corbis

Kiel – Sie kamen aus den Weiten des Atlantiks. Jedes Jahr trafen viele Millionen Glasaale an Europas Küsten ein, von Norwegen bis Gibraltar und weit in das östliche Mittelmeer. Sogar durch den Bosporus wanderten einige. Die winzigen Fische zogen in Massen die Flüsse hinauf. Eine immer wiederkehrende Invasion, seit Menschengedenken.

Diese Zeiten sind nun leider vorbei. Der alljährliche Glasaal-Strom ist zu einem Rinnsal verkommen. Experten schätzen, dass der Gesamtbestand des Europäischen Aals (Anguilla anguilla) auf weniger als zehn Prozent seiner ursprünglichen Größe geschrumpft ist. In manchen Regionen ihres natürlichen Verbreitungsgebiets sind die schlangenähnlichen Fische fast vollständig verschwunden. Die internationale Artenschutzorganisation IUCN stuft A. anguilla als vom Aussterben bedroht ein. Die EU konnte sich allerdings noch nicht zu einem Fangmoratorium durchringen.

Der Rückgang der Aalpopulationen begann in den 1980er-Jahren. Wissenschafter streiten sich über die möglichen Hintergründe für den Schwund und haben bislang noch keine eindeutige Erklärung gefunden. Überfischung, Belastung mit Umweltgiften, Wasserkraftwerke und der aus Asien eingeschleppte Parasit Anguillicola crassus gelten als Hauptverdächtige. Viele Fischer nehmen fälschlicherweise an, der Kormoran sei schuld, und manche Forscher sehen veränderte Meeresströmungen als mögliche Verursacher des Kollapses. Schließlich liegen die Laichplätze des Europäischen Aales in der fernen Sargassosee, östlich der Bahama-Inseln. Die Larven müssen mindestens 5.000 Kilometer bis zu den Küsten zurücklegen. Eine unglaubliche Leistung, die ohne Unterstützung kaum denkbar ist.

Eine neue, vom Fachjournal "Current Biology" online veröffentlichte Studie vom Helmholtz-Zentrum für Oeanforschung in Kiel bestätigt die Strömungstheorie zumindest teilweise. Ein internationales Expertenteam hat genaue Daten über Stärke und Verlauf der atlantischen Meeresströmungen aus den Jahren 1960 bis 2005 zu einem Modell zusammengefügt, und darin für jedes Jahr den Wanderweg von acht Millionen virtuellen Aallarven berechnet. Die Ergebnisse zeigen erstaunlich deutliche Muster.

Kräftige Strömung

In Jahren mit einer kräftigen Westströmung können die Larven vom Laichgebiet aus in wenigen Wochen den Golfstom erreichen, der sie dann in Richtung Europa treibt. Bei ungünstigeren Verhältnissen dagegen muss der Aalnachwuchs einen längeren Weg durch die Karibik nehmen. Das senkt die Überlebensrate und dementsprechend auch die Anzahl derer, die es bis an unsere Küsten schaffen. Das Modell zeigt: Anfang der 1980er-Jahre herrschten mehrere Jahre lang ungünstige Wanderbedingungen – genau zu Beginn des Aalschwunds. Dies dürfte der Auslöser des Rückgangs gewesen sein, Überfischung und andere negative Einflüsse haben den Abwärtstrend anschließend wahrscheinlich verstärkt, meinen die Forscher.

Interessanterweise decken sich die beobachteten Verbreitungsmuster auch mit genetischen Hinweisen auf die Existenz von Aal-Teilpopulationen. Weibchen aus unterschiedlichen europäischen Regionen könnten demnach zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Stellen in der Sargassosee laichen. Das würde die laufenden Schutzbemühungen erschweren. (Kurt de Swaaf/DER STANDARD, 27. 12. 2013)