Monica Strauss-Alvarez, die Rechtsanwältin aus Linda Bildas Comic "Das goldene Zeitalter", kämpft für würdevolle Arbeit.

Foto: Bilda

Gramatneusiedl - "Ich will nicht arbeiten", verkündet der Jänner-Spielplan der Volksbühne Berlin auf seiner Rückseite. Eine Erinnerung an Frank Castorfs Die Weber-Modernisierung von 1997? In der die Jugend trotzig motzt: "Ich will nicht arbeiten. Ich will Karriere machen." Womöglich. Auf alle Fälle ein absurder Verweis auf soziale und wirtschaftliche Verhältnisse, mit dem die Dramenschreiber unserer Tage beschäftigt sind. Wenn Arbeit keinen Aufstieg verheißt, sondern trotz Fleißes den steten Abstieg nicht verhindern kann, warum arbeiten?

Den Kreis der Erfolgreichen gilt es zu erobern. Dort darf man sich noch einbilden, die eigenen herausragenden Leistungen hätten einen an die Spitze katapultiert, man habe sich das einfach verdient. Meritokratie nennt sich diese Schönfärberei, die der britische Soziologe Michael Young 1958, allerdings satirisch und als Reaktion auf den Begriff der "Leistungsgerechtigkeit", entwickelt hat. Das Perfide an der Meritokratie ist ihr Umkehrschluss: Hat man es weniger gut erwischt, habe man sich das selbst zuzuschreiben. Es wirkt das Sprichwort "Jeder ist seines Glückes Schmied".

"Ich will nicht arbeiten" erinnert aber auch an Arbeite Nie, ein Projekt der Künstlerin Linda Bilda für den öffentlichen Raum Gramatneusiedls. Der Ansage fehlt zwar eine eindeutige Grammatik, auch das Ausrufezeichen ist ausgelassen, dennoch klingt die Aufforderung mit, den Begriff "Arbeit" neu zu denken.

Aber warum hier? Beim Ortsnamen Gramatneusiedl klingelt es nicht, vielleicht auch noch nicht, wenn man sagt, dass sich hier die Arbeitersiedlung Marienthal befand. Der Groschen fällt jedoch bei vielen, erwähnt man Die Arbeitslosen von Marienthal, also jene 1933 durchgeführte Studie, die zu den Klassikern der empirischen Sozialforschung gehört.

Nach der Schließung der Textilfabrik 1930 entstand dort hohe Arbeitslosigkeit. Der Vorschlag zur Studie von Marie Jahoda, Paul Felix Lazarsfeld und Hans Zeisel kam von Otto Bauer, dem damals führenden Mann der österreichischen Sozialdemokratie. Die politische Hoffnung, in den Arbeitslosen von heute schlummerten die Revolutionäre von morgen, erfüllte sich jedoch nicht. Vielmehr erwiesen die soziopsychologischen Untersuchungen, dass Langzeitarbeitslosigkeit zur passiven Resignation führt. Im schlimmsten Fall zu einer Perspektivlosigkeit, in der positive Zukunftspläne sogar aus der Fantasie getilgt sind.

Ursprünglich bestand die Arbeiterkolonie des historischen Marienthal u. a. aus Arbeiterheimen, einem Montessori-Kindergarten, einem Fabrikspital, einem Gasthaus, einem Tanz- und Theatersaal - und dem Consum-Verein, der heute das Museum Marienthal beherbergt. Strukturen, auf die Linda Bilda zurückgriff und die sie mittels farbiger Acryltafeln im jetzigen Ortsgefüge in Erinnerung bringt: der Wirt an der Schank oder der Fabriksdirektor Hermann Todesco am Zaun der historischen Fabrik (heute nutzt das Gelände jene Firma, die auch die Tafeln hergestellt hat). Aber auch die in der Studie erarbeitete "psychogeografische Landkarte", die das Areal in Zonen von Arbeit und Disziplin, von Vergnügen und Konsum aufteilt und Orte des "Klassenunterschieds" ausweist, realisiert die 1963 geborene Künstlerin als Acrylobjekt.

Bilda belässt es allerdings nicht bei den Blickroutinen brechenden Eingriffen, sondern vertieft die Gedanken mittels eines Plakazins - eines Hybrids aus Plakat und Magazin. Ein Medium, mit dem die Preisträgerin des vom Bund vergebenen Outstanding Artist Award 2011 vertraut ist, hat sie doch künstlerische Hefte wie Artfan oder Die weiße Blatt herausgegeben. Auch Figuren aus Das goldene Zeitalter, einem den Kapitalismus als Idee hinterfragenden Comic Bildas, tauchen im Plakazin wieder auf; etwa John Ohneangst, der sich nun als Zeitarbeiter verdingende Energie-Visionär.

Ohne Struktur zerrinnt Zeit

"Sie, die sich nicht mehr beeilen müssen, beginnen auch nichts mehr und gleiten allmählich ab aus einer geregelten Existenz ins Ungebundene und Leere", wechseln sich Zitate der historischen Studie mit Beiträgen der Gegenwart ab. "Und wenn ich doch nicht so ein Vollprofi bin", zweifelte beispielsweise Christine Fallarás, eine spanische Journalistin im dritten Jahr ihrer Erwerbslosigkeit. Die Angst davor, Utopien überhaupt zu denken, und den Umstand, sich im Denken zu beschränken, prangert hingegen Reinhard Müller vom Archiv für die Geschichte der Soziologie an. Die Politik würde noch immer nicht bei den Erkenntnissen der Marienthal-Studie angelangt sein.

Arbeite Nie ist eine vielschichtige Absage Bildas an die derzeit einzig anerkannte Form von Arbeit, die Lohnarbeit. Und in weiterer Folge ein Statement für das bedingungslose Grundeinkommen. "Arbeit", schreibt Bilda, "sollte letztendlich mehr Energie freisetzen, als sie verbraucht." (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 28./29.12.2013)