Mehr als 30 Tote und dutzende Verletzte: Knapp zwei Monate vor den Olympischen Spielen in Sotschi haben zwei blutige Sprengstoffanschläge in der südrussischen Millionenstadt Wolgograd Russlands latentes Terrorismusproblem schonungslos offengelegt. Die Stadt, die schon im Zweiten Weltkrieg so unermesslich große Opfer bringen musste, steht erneut an der Front eines Kriegs, auch wenn dieser offiziell nicht erklärt wurde. In der Stadt bilden sich Bürgerwehren, ein massives Polizeiaufgebot soll Ordnung und Sicherheit garantieren.

Die gute Nachricht ist: Olympiagäste müssen sich wohl keine großen Sorgen machen. Das 900 Kilometer entfernte Sotschi im begrenzten Zeitrahmen der Spiele zu kontrollieren ist mit dem gigantischen Überwachungsapparat möglich.

Strafaktionen ohne spürbaren Erfolg

Das Problem an sich kann die Maschinerie aber nicht lösen, auch wenn Tschetscheniens moskautreuer Republikchef Ramsan Kadyrow schon nach dem ersten Anschlag am Sonntag in einer ersten Reaktion reflexartig forderte, die Strafen für Terrorismus "grenzenlos" zu erweitern. Natürlich dürfen Täter und Hintermänner nicht straffrei ausgehen. Doch ebenjene grenzenlos brutalen Straf- und Säuberungsaktionen laufen seit fast 20 Jahren im Kaukasus – ohne spürbaren Erfolg.

Sosehr sich auch das Innenministerium alljährlich mit seinen Statistiken von jeweils 200 bis 300 "vernichteten" Terroristen brüstet: Sie wachsen in gleicher Stärke nach. Bei der Jagd nach Untergrundkämpfern haben die Sicherheitskräfte auch Unschuldige getroffen und damit neuen Hass gesät. Taktisch war sicher auch die Vernichtung moderater Rebellenführer ein Fehler, die nun als Ansprechpartner fehlen.

Problem Armut

Das größte Problem ist aber strategischer Natur: Armut, niedrige Bildung und Arbeitslosigkeit sind ein idealer Nährboden für radikale Kräfte, die den Islam als Propagandainstrument missbrauchen. Der Kaukasus ist Russlands Schwachpunkt, weil hier Clanwirtschaft und Korruption noch wunderlichere Blüten treiben als in anderen Landesteilen.

Solange das aus Moskau transferierte Geld in die Taschen einiger weniger wandert und die Ungerechtigkeit spürbar ist, werden sich Menschen von Gewaltpredigern verführen lassen. Das aber wird geflissentlich übersehen. Stattdessen höhnt Kadyrow, "mit Demokratie- und Humanitätsspielchen" sei der Terrorismus nicht zu besiegen. Ein Ende der Gewalt ist mit diesem Ansatz nicht in Sicht. (André Ballin, derStandard.at, 30.12.2013)