In dieser Lücke hat sich seit einigen Jahren ein schmales Büchlein, erschienen beim rührigen deutschen Independent-Verlag Merve, zu einem veritablen Geheimtipp entwickelt. In Postheroisches Management, mehr oder weniger einer Sammlung von Kolumnen für die Zeitschrift Blick durch die Wirtschaft näherte sich der Soziologe, System- und Wirtschaftstheoeretiker Dirk Baecker sehr punktuell und exemplarisch verschiedenen Aspekten eines Bedarfs nach Strukturen, in denen Momente der Irritation verstärkt berücksichtigt werden müssen, will ein Unternehmen oder eine andere Organisation nicht vorschnell erstarren und von zunehmend beschleunigten System-Updates überrollt werden. Für den "postheroischen" Manager gelte, so Baecker als Adept Heinz von Foersters: "Complicate yourself!" "Management ist die Fähigkeit, mit Ungewissheit auf eine Art und Weise umzugehen, die diese bearbeitbar macht, ohne das Ergebnis mit Gewissheit zu verwechseln."
Wie entzückt etwa der deutsche Dramatiker Heiner Müller von Baeckers "Vademecum" war, ist in Ich bin ein Landvermesser, seinen Gesprächen mit Alexander Kluge dokumentiert. Baecker hatte nämlich gefordert, "die Seite des Erfolgs und die Seite des Scheiterns als die beiden Seiten derselben Organisation zu begreifen. Es gibt nahezu keine ausführliche Literatur über das großartige Scheitern großartiger Unternehmen." Hier hakte Müller ein, denn, so Kluge seinerseits später zu Baecker: "Wenn es um das große Scheitern geht, haben wir es wieder mit der Arbeitsform der Tragödie, des Dramas zu tun." Und irgendwann war auch Dirk Baecker ein Stammgast von Kluges Interview-Sendungen, in Gesprächen, in denen beide Partner geradezu manisch um Fragen der Kunst der Unterscheidung kreisten: eines Unterscheidungsvermögens, auch in Stress- und Krisensituationen, in denen Intuition und Eigensinn oft hilfreicher sind als akademische Methode.
"Warum ist menschliches Denken langsam?" Da wäre er wieder einmal, der typische Tonfall. Wieder so eine Frage, wie sie gegenwärtig im deutschen Fernsehen scheinbar nur der Autor, Film- und TV-Macher Kluge in und mit seinen Sendungen stellt. Sein Gegenüber ist dem diesjährigen Büchner-Preisträger durchaus ebenbürtig: "Denken ist langsam, weil darin seine einzige Chance besteht", so Baecker. "Denken heißt innezuhalten, zu zögern, nicht sofort zu reagieren, den Reflex zu unterbinden, dem Instinkt misstrauisch zu begegnen und dann erst etwas zu tun. Was man dann tut, kann durchaus dem ersten Reflex, dem Instinkt entsprechen, dann jedoch mit dem Bewusstsein, einem Instinkt freien Lauf zu lassen." Vom Nutzen ungelöster Probleme, eine Sammlung solcher Gesprächsprotokolle, vor einigen Wochen ebenfalls bei Merve erschienen, ist in diesem Sinne vor allem Anleitung und Einführungslektüre: Wer Kluge und Baecker bereits kennt und schätzt, wird hier nur bedingt Neues erfahren (was, wie bei einer guten Talksendung, den Unterhaltungswert nicht mindert). Andererseits bildet das unprätentiös edierte Büchlein eine Kreuzung, wenn man so will, an der sich weniger informierte Leser infizieren können - und dann folgen sie entweder Kluge in andere dctp-Sendungen, in die Chronik der Gefühle oder in die "gemeinsame Philiosophe" mit Oskar Negt, Der unterschätzte Mensch.
Oder sie loten einmal Baeckers bisheriges Werk aus: Im kleinen Berliner Kulturverlag Kadmos sind etwa nicht nur seine großartigen Aufsatzsammlungen Wozu Kultur? und Wozu Systeme? erschienen, sondern auch die von ihm edierte Schriftenreihe copyrights, in der der ehemalige Luhmann-Schüler kürzlich eine höchst aufschlussreiche Sammlung von Analysen zu Walter Benjamins Kapitalismus als Religion herausgegeben hat. Ein ganzes Netzwerk zeitgenössischer Aufklärung tut sich also auf, rund um unzählige ungelöste Probleme, aber wie sagte Kluge einmal in einem Interview: "Rationalität als Dienstleistung gibt es genügend in der Welt. Wir müssen nur den Begriff der Kritik - es ist ein alter Begriff - frisch formulieren. Wenn Heiner Müller beispielsweise von Kritik sprach, dann meinte er nicht, dass man über eine Sache reden könnte, sondern dass die Sache selber sich wie in Findlingsblöcken äußert. Je schwerer das im Moment zu verstehen ist, je unverdaulicher die Sätze sind, desto stärker werden sie einen Widerstand, einen Anker bilden. Der schleift Gefühle hinter sich her und so entsteht auch ein Sensorium für wirkliche Verhältnisse. So, wie man einen Magneten über Eisenspäne gehen lässt. Die nehmen eine erstaunlich präzise Struktur an - und Magneten tragen wir doch längst in uns."