Luigi Ontani porträtierte sich in Rollen, die aus der Literatur oder Kunstgeschichte bekannt sind: "Pinocchio" (1972).

Foto: Archivio L' Attico - Fabio

Nach Wien feiert auch Rom die Kunst der 1970er-Jahre. Expansion der Wiener Kunst titelt das Musa, im römischen Palazzo delle Esposizioni heißt es lapidar Die 70er-Jahre. Kunst in Rom. 200 Werke von 100 italienischen und internationalen Künstlern, darunter Jannis Kounellis, Alberto Burri, Joseph Beuys und Sol LeWitt, spiegeln das Jahrzehnt wider. Ein spannender Rückblick mit einem tristen Ausblick: Wo ist in Rom die Kunst geblieben?

In der Rotunde des römischen Ausstellungspalastes liegt ein Skelett - nein, zwei Skelette! Ein Mann mit Rollschuhen an den Füßen, an der Leine sein Hündchen. Il tempo, lo sbaglio, lo spazio ("Die Zeit, der Fehler, der Raum") nannte Gino De Dominicis seine wenig erheiternde Installation, mit der er 1970 eine der wichtigsten römischen Bühnen der zeitgenössischen Kunst bespielte: die Galerie L'Attico von Fabio Sargentini.

1973 tauchte das Skelett-Duo in der monumentalen Schau Contemporanea in der Tiefgarage des Borghese-Parks auf. In der Rotunde fühlt sich der Besucher in jene Zeit zurückversetzt; Fotos rufen die damaligen Ausstellungen - etwa Vitalità del negativo und Ghenos Eros Thanatos in Erinnerung. Gelungener Auftakt für eine mit der allgemeinen Nostalgiewelle schwimmende Ausstellung.

"Wir sind die Revolution"

Die damalige Zeit wird charakterisiert von der Verflüssigung in der "liquiden" Moderne, in der Begriffe wie Zeit und Raum haltlos, Form und Inhalt aufgelöst sind, in der die Wissenschaft - vom Positivismus zum Darwinismus - die Antwort schuldig geblieben ist. Es ist eine Ära ohne Glauben, in der die Kunst dennoch und gerade deshalb weiter glaubte, nämlich an sich selbst. Ihr Prophet war Joseph Beuys. "Wir sind die Revolution", hieß die Lektion, die er 1972 im römischen Palazzo Taverna erteilte. Beuys Stimme ertönt in der Ausstellung nun wieder. Doch ohne ihn, den Mann mit dem Filzhut, klingen die Worte seltsam leer. Sind sie Utopie?

Die Ausstellung beantwortete diese Frage nicht direkt. Doch zieht sie ihre Kreise anhand einer Reihe von Leitmotiven, um die herum die Kunstwerke gruppiert sind - und endet ohne Ausweg, im Labyrinth. Bezeichnenderweise ist so auch der letzte Abschnitt betitelt. Es ist also kein Weg in den Nichtort gefunden worden.

Dabei ging es der Kunst der 1970er-Jahre genau darum: um das Suchen eines neuen Ortes, fern von den Altären der etablierten Kunst, wo Werke wie Fetische an der Wand hingen. Der spätere Biennale-Venedig-Leiter Achille Bonito Oliva inszenierte 1973 die legendäre Schau Contemporanea im Parkhaus unter dem Borghese-Park. Es sollte eine Katakombe sein, in der sich die Künstler, frühen Christen gleich, opferten. Märtyrer sollten sie sein, sollten für ihren Glauben an eine andere Kunst und eine andere Welt - bildlich gesprochen - sterben.

Die Ausstellung von 1973 begleitete eine der berühmtesten Verhüllungen von Christos, jene der Aurelianischen Stadtmauer. Es war ein Gesamtkunstwerk. Theater, Musik und bildende Kunst vereinten sich zu einem gigantischen Happening. Werke dieser Zeit heute neuerlich zu zeigen bedeutet, ihnen genau jene interpretativen Ketten anzulegen, die sie einst abzuschütteln gedachten.

Die Kuratorin der 70er-Schau, Daniela Lancioni, bekennt sich zur Historisierung, sie versucht keine Wiederbelebung jener Jahre. Ihr geht es um die Reflexion: Zeichen setzen, Orientierungen geben - das gelingt der Präsentation in ihrem fast pedantisch systematischen Aufbau zweifelsfrei. Der Betrachter wandelt durch wohltemperierte Räume, doch fehlt ihm dabei das wichtigste Hinweisschild: nämlich das politische und gesellschaftliche Umfeld, in dem die Künstler damals aufbegehrten. Die 1970er sind die Jahre der bleiernen Zeit, der Roten Brigaden, der Entführung und Ermordung Aldo Moros, des gewaltsamen Todes Pier Paolo Pasolinis, des Feminismus und der Grenzen des Wachstums.

Jenseits der Avantgarde

Der politische Hintergrund wird nur am Rande behandelt - der einzige, jedoch schwere Fehler. Zum Ausgleich werden die Folgen des nicht erhörten Aufbegehrens gezeigt. Die Kunst sucht Zuflucht in der Vergangenheit, die mit dem beliebten Präfix "Neo" aufersteht: Von Neo-Manierismus sprach Achille Bonito Oliva, bevor er dieser Kehrtwende den publikumswirksameren Namen Transavanguardia verpasste; eine Kunst, die sich jenseits der Avantgarde in ihren eigenen Gefilden bewegt. Angesichts eines solchen Epilogs fragt man sich, welches Ende die Kunst von heute - einer ähnlich krisengeschüttelten Zeit, in der die Zukunft verwehrt scheint - nehmen wird?

Im Unterschied zu damals, als Rom ein pulsierendes Zentrum der Gegenwartskunst war, ist das heutige Angebot der Ewigen Stadt eher trostlos. Die öffentlichen Museen zeigen selten Gegenwartskunst, viele private Galerien haben zusperren müssen, die Künstler haben das Weite gesucht. Rom sollte das zu denken geben. Ein Land, das seine Kultur so sträflich vernachlässigt, verödet. Da bröckelt nicht nur Pompeji, da bricht eine Zivilisation ein.  (Eva Clausen, DER STANDARD, 2.1.2014)