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Zweifelhafter Humorist Dieudonné M'bala M'bala in Aktion.

Foto: APA/EPA/MOHAMED MESSARA

Zwei Justizentscheide binnen eines einzigen Tages zeigen auf, wie komplex die "Causa Dieudonné" ist. Ein Gericht in Nantes, wo der des Antisemitismus bezichtigte Komiker seine Tournee beginnen wollte, erteilte mit Verweis auf die Meinungsfreiheit grünes Licht. Kurz vor Beginn des Spektakels wurde der Auftritt vom höchsten Verwaltungsgericht wegen "Störung der öffentlichen Ordnung" untersagt - obwohl bereits mehr als 5000 Fans auf den "Gottgegebenen" warteten.

Dieudonné M'bala M'bala forderte seine Anhänger auf, Ruhe zu bewahren und nach Hause zu gehen. Am Freitag kam der 47-jährige Franko-Kameruner erneut vor ein Gericht in Orléans; die Richter folgten dem Staatsrat und verboten auch den zweiten Tourneeauftritt.

Der sozialistische Innenminister Manuel Valls bezeichnete den Entscheid als "Sieg der Republik" gegen rassistische und antisemitische Parolen. Die Presse fragt sich indes, wer das Duell Valls - Dieudonné gewonnen habe. Intellektuelle wie Arno Klarsfeld begrüßten den Entscheid.

Der Philosoph Bernard-Henri Lévy erinnerte daran, Dieudonné sei schon mit dem Rechtsextremisten Alain Soral oder dem Holocaust-Leugner Robert Faurisson auf der Bühne gestanden: "Bei diesen Meetings wird der Hass auf die Juden und die Verherrlichung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit gepredigt, und das ist in unserer Republik untersagt."

Diverse Kommentatoren befürchten allerdings, dass Dieudonné dem Ziel, sich als "System-Opfer" zu präsentieren, näherkomme. Einige sprechen von einem "Pyrrhussieg von Valls". Libération meint, die Antwort auf solche Antirepublikaner können "nur politisch, nicht juristisch" ausfallen.

Ähnlich argumentiert Daniel Schneidermann, einer der unabhängigsten Denker der Pariser Medienlandschaft: Wenn man Dieudonné verbanne, werde er aufs Internet ausweichen, wo sich sein Diskurs jeder Kontrolle entziehe: "Die Zeit ist vorbei, als einige Zeitungen Faurisson boykottieren konnten. Jedes Mal, wenn sie ihren Bannstrahl werfen, werden die antisemitischen Wahnfantasien auf Youtube zehnmal stärker beachtet." Statt zu verbieten, so Schneidermann, täten die Behörden besser daran, zu erklären, zu informieren und debattieren.

Für den Publizisten Félix Marquardt bedeutet das auch, dass alle Arten von Rassismus bekämpft werden - auch der gegen junge Maghrebiner und Afrikaner, die "systematisch Gesichtskontrollen unterzogen" würden. Man müsse auch zwischen Antizionismus (dem sich Dieudonné verschrieben hat) und Antisemitismus unterscheiden: "Die Umstände der Gründung Israels auf Kosten der Palästinenser zu bedauern ist eine Sache. Das Existenzrecht Israels 2014 infrage zu stellen, eine andere."

Auch der Soziologe Michel Wieviorka warnt vor einem wachsenden, "archaischen, kolonialen Rassismus gegen Schwarze", der sich etwa in Bananen-Witzen gegen die dunkelhäutige Justizministerin Christiane Taubira äußere. Das nähre den Antisemitismus in der französischen Gesellschaft. Wieviorka teilt Dieudonnés Sympathisanten in drei uneinheitliche Gruppen: traditionelle antisemitische Rechtsextremisten mit Nähe zum Front National, Immigranten-Jugendliche, die sich von Dieudonnés Anti-Sklaverei-Diskurs angesprochen fühlen, sowie libertäre Kreise, die gegen die Pariser Macht- und Medieneliten eingestellt seien. (Stefan Brändle, DER STANDARD, 11./12.1.2014)