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Jahrhundertelang kultivierte Ressentiments verschwinden nicht in wenigen Jahren.

Foto: APA/dpa/Michael Reichel

Das Selbst-Outing des deutschen Profifußballers Thomas Hitzlsperger hat das Thema Homosexualität wieder aufs Tapet gebracht. Die diesbezügliche Diskussion ist überfällig, denn im Männerfußball und anderen breitenwirksamen Mannschaftssportarten gilt "schwul" als Schimpfwort, mit dem tatsächliche oder vermeintliche Homosexuelle heruntergemacht werden - und welches darüber hinaus auch für viel Anderes verwendet wird, was aus Fanperspektive verachtungswürdig erscheint.

Doch das ist nicht nur unter Kickern so, sondern auch sonst in der Gesellschaft. Ein unter zum Beispiel Wiener Hauptschülern verbrachter Vormittag reicht, um das zu erkennen. Für sie und viele andere, auch erwachsene, Mitbürger steht das Wort "schwul" für Abschätziges an sich - und behält gleichzeitig auch seine ursprüngliche Bedeutung. Konflikte, Ungerechtigkeiten oder Zorn auf andere wird mit den gleichen negativen Gefühlen besetzt wie tatsächliches Schwulsein.

Zunehmend gleichberechtigt

Nun wurden Lesben und Schwule in westeuropäisch orientierten Gesellschaften, und damit auch in Österreich, in den vergangenen Jahrzehnten gleichzeitig zunehmend zu Gleichberechtigten. Das hat hierzulande zu einer seltsam zweigeteilten Situation geführt: Während es einerseits eingetragene Partnerschaften gibt und über die Öffnung der Ehe für Lesben und Schwule, über Regenbogenfamilien und Adoptionsrecht diskutiert wird, während sich immer mehr Österreicherinnen und Österreicher in Umfragen für weitere Gleichstellungsmaßnahmen aussprechen, wabern unter der politisch korrekten Oberfläche nach wie vor beträchtliche homophobe Vorurteile.

Das nun ist nicht weiter überraschend, denn jahrhundertelang kultivierte Ressentiments verschwinden nicht in wenigen Jahren. Problematisch jedoch ist, dass in Österreich über diese dunkle Seite, über das, was trotz gesetzlicher Gleichstellung weiterexistiert, fast überhaupt nicht gesprochen wird. Konfrontation mit Homophobie geht man lieber aus dem Weg, so wie man es vielfach auch mit ausländerfeindlichen Ausritten immer noch hält.

Tagelang erschrocken

Erschrocken wurde etwa tagelang innegehalten, nachdem der Präsident des Skiverbands, Peter Schröcknadel, im Standard-Interview kundtat, dass er gegen ein "Werbeverbot" für Homosexuelle, wie es in Russland wieder eingeführt wurde, nichts Grundlegendes einzuwenden hätte. Und Thomas Hitzlspergers Selbstouting ging hierzulande Vielen viel zu weit, was sich in Standard-Foren in einer Reihe "Ich hätte das gar nicht so genau wissen müssen"-Postings niederschlug. Tom Schaffer hat das in einem Kommentar ganz richtig als Abwehr Homosexueller interpretiert.

Zu dieser konfliktscheuen Unkultur gehört auch, dass es in Österreich nur ganz wenige in der Öffentlichkeit stehende Personen gibt, die schwul oder lesbisch leben und dies offen sagen. Wohl weil sie der gar nicht so falschen Meinung sind, ihr Outing könne ebenso "aufdringlich" rüberkommen wie jenes des deutschen Fußballers. Weil sie befürchten, in der Folge gesellschaftliche Distanz, ja Nachteile gegenwärtigen zu haben – in einer Gesellschaft, in der sich auch gleichsstellungsaffine Repräsentanten die Emanzipation Homosexueller nicht vergleichbar offensiv auf die Fahnen schreiben wie es etwa in Großbritannien oder den USA der Fall ist.

Camerons Bewunderung

In Großbritannien zeigte sich Premierminister David Cameron "bewundernd" nach Hitzlspergers Enthüllung. In den USA berief Präsident Barack Obama, der selber nicht zu den Olympischen Spielen ins russische Sotschi fahren wird, aus Protest gegen die russische Antihomosexuellenpolitik unter anderen die offen lesbische Ex-Profitennisspielerin Billie Jean King in die US-Delegation. In Österreich hat bisher kein Regierungspolitiker positiv auf Hitzlspergers Outing reagiert. Und Bundeskanzler Werner Faymann wird als Regierungschef nach Sotschi reisen. (Irene Brickner, derStandard.at, 11.1.2014)