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Komödiant Dieudonné wurde bereits mehrfach rechtskräftig wegen Verhetzung verurteilt.

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Ein beliebtes Argument gegen Auftrittsverbote für antisemitische oder rassistische Künstler geht so: Diese Verbote bewirken nichts und steigern noch das Interesse am Verbotenen. Weil sie ihm den Charme der Devianz verleihen. Der mit dem Verbot Belegte kann sich als Opfer präsentieren; und sieht seine "Analyse" über das unterdrückerische "System" noch bestätigt: Er hat ja schon immer gewusst, dass "die Macht" gegen ihn ist. Da seht ihr es. Die Anhänger johlen.

Die Selbstinszenierung als Systemopfer ist eine rechtsextreme Kernkompetenz. Genau wie das Schwadronieren über eine Elite, die aus "politisch Korrekten", Juden, "Kapitalisten" und "Imperialisten" besteht, die verschwörerisch im Hintergrund agiert und von dort die öffentliche Meinung lenkt. Die beleidigte Rede vom "Sprechverbot", vom "Maulkorb" und von der "Zensur" durch diese Elite – man kennt diesen Film. Auch der rechtsextreme französische Komiker Dieudonné beherrscht diese Technik der Täter-Opfer-Umkehr.

Antisemitismus ist kein Witz

In keinem anderen europäischen Land ist die Angst der jüdischen Bevölkerung vor antisemitischen Übergriffen größer als in Frankreich. 85 Prozent der französischen Juden nehmen eine ausgeprägt antijüdische Haltung im Land wahr. 60 Prozent fürchten sogar körperliche Angriffe. Die Folge: Die größte Einwanderungsgruppe in Israel sind heute Juden aus Frankreich. Dieudonné verhöhnt die Opfer der Shoah seit Jahren – in Liedern wie "Shoananas", in dem er sich über den Holocaust lustig macht. Er wünschte einen jüdischen Journalisten in einem Interview indirekt in die Gaskammer, pflegt enge Kontakte zu Holocaustleugnern und Rechtsextremisten (Front-National-Gründer Jean-Marie Le Pen ist der Taufpate seiner Tochter). Und er hat mit dem sogenannten Quenelle-Gruß einen verbrämten Hitlergruß bekanntgemacht, der sich über die sozialen Medien rasch verbreitet. Rechtsextreme und unwissende Halblustige zeigen den Gruß gerne vor Synagogen oder KZ-Gedenkstätten. Einige sogar vor jener jüdischen Schule in Toulouse, in der im März 2012 drei Schüler und ein Lehrer von einem Terroristen getötet wurden. Dieudonné billigt die Verbreitung des Grußes. Man darf vermuten, dass sie ihm recht ist.

Sein Antisemitismus tarnt sich als Kritik am herrschenden Wirtschafts- und Gesellschaftssystem. Das macht ihn attraktiv für junge Menschen (es sind vor allem Männer) mit und ohne Migrationshintergrund, die aufgrund ihrer ethnischen und sozialen Herkunft und verstärkt durch die Wirtschaftskrise um Lebenschancen betrogen werden. Wohl ist nicht jeder, der bei Dieudonnés Konzerten klatscht, Antisemit mit geschlossen rechtsextremem Weltbild. Aber jeder Einzelne geht dem Verführer Dieudonné auf den Leim, der komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge auf Feindbilder reduziert und diesen die Verantwortung für die Verhältnisse zuweist. Dieudonnés Botschaft zu glauben oder sie zumindest mutig zu finden ("Endlich sagt's mal einer!") ist natürlich einfacher als das Durchdringen der Komplexität. Das Mitgrölen seiner Lieder macht mehr Laune als dröge politische Bildung. Das ist das Gefährliche an den Antisemiten und Rassisten im Popkostüm.

Die eine und die andere Freiheit

Das Auftrittsverbot wird weder Dieudonnés Ergüsse beenden noch sein Weltbild verändern. Das ist aber kein Argument gegen das Verbot. Justiz und Politik wissen schließlich, dass ein Verbot die Popularität des Zensierten kurzfristig steigern wird. Sie nehmen das in Kauf. Müssen es in Kauf nehmen. Denn das Verbot von Verhetzung oder auch das in Österreich geltende NS-Verbotsgesetz legitimieren sich nicht dadurch, wie die Öffentlichkeit momentan darauf reagiert. Sondern dadurch, welche gesellschaftliche Entwicklung sie in Form rechtlicher Leitplanken längerfristig festlegen, indem sie bestimmte Taten oder Aussagen jetzt als nicht akzeptabel sanktionieren. Es gibt im demokratischen Rechtsstaat keinen direkteren Weg zur Verankerung gesellschaftlicher Werte.

Die Freiheit von Jüdinnen und Juden, in Frankreich in Sicherheit zu leben, steht aktuell gegen die Freiheit eines Künstlers, alles sagen zu dürfen. Der Staat muss bewerten, welche Freiheit schwerer wiegt. Die Entscheidung ist eigentlich ziemlich einfach: Erst im Verbund mit Gleichheit und Brüderlichkeit erhält Freiheit ihren Sinn. Nicht nur in Frankreich. (Lisa Mayr, derStandard.at, 14.1.2013)