Mit dem Abhören ist es wie mit der Prostitution: Man kann es verbieten, wird es dadurch aber nicht abschaffen. Besser also, man verzichtet aufs Moralisieren und nimmt das wechselseitige Belauschen durch die Geheimdienste gelassen als Konstante im Verhältnis auch befreundeter Staaten. Insofern ist die Entrüstung deutscher Regierungskreise über die Weigerung der USA, Nichtabhör-Garantien zu geben, einigermaßen heuchlerisch.

Was hat man in Berlin erwartet? Dass Washington auf Angela Merkels ernste Ermahnung, das Abhören von Freunden „geht gar nicht“, mit einem feierlichen öffentlichen Nie-wieder-Schwur reagieren würde? Dass Barack Obama mit seiner linken Hand ein entsprechendes Abkommen un­terzeichnen würde, ohne hinter dem Rücken die Finger der rechten zu kreuzen – nur weil ihm Angie so sehr ins Gewissen geredet hat und er außerdem Friedensnobelpreisträger ist?

Was Letzteres betrifft, könnte Obama ja argumentieren, dass zwischenstaatliches Abhören durchaus friedensfördernd sei: Je besser man weiß, wie der andere tickt, desto besser kann man das eigene Handeln daran ausrichten und etwaige Kurzschlussakte vermeiden. Weiß der andere seinerseits, dass er belauscht wird, kann er seine Botschaft nach Belieben steuern.  Womit der Lauscher dann doch wieder nicht sicher sein kann – und sich derlei Praxis als überbewertete Wichtigtuerei der Geheimdienste erweist. (Josef Kirchengast, DER STANDARD, 15.1.2014)