Bild nicht mehr verfügbar.

"Viele Erinnerungen an meinen verstorbenen Vater haften nur an diesem einen, einzigen Akkordeon."

Foto: dpa/Birgit Klimke

An einem heißen Julitag 2012 wurde in mein Haus in Mazedonien eingebrochen. Der Schaden war sowohl materiell als auch emotional. Die Täter waren wahrscheinlich meine Nachbarn, und sie hinterließen Chaos im Haus und im Kopf.

Tagsüber war es sehr ruhig in dem einsamen Haus in der Mitte der Straße. Die Sonne brannte regelrecht herunter und vertrieb alle Nachbarn in ihre Häuser. Vor ihren Klimageräten fanden sie Zuflucht vor der tyrannischen Sonne. Temperaturen bis zu 45 Grad Celsius sind keine Seltenheit im mazedonischen Hochsommer. Nachtsüber jedoch herrschte Hochbetrieb in meinem Haus. Waschmaschine, E-Herd, Fernseher und sonstige Geräte wurden langsam aus dem Haus getragen und auf einen Lkw, der auf der Straße hinter unserem Haus im Schatten des großen Walnussbaumes geparkt stand, aufgeladen. Wir hatten jedoch keinen Umzugsservice bestellt, und keiner von uns war zu Hause. Diebe haben das Haus in Skopje geplündert und nahezu komplett geleert.

Als uns die Meldung von dem Raub erreichte, fuhren wir nach Skopje und machten uns ein Bild. Die Räuber hatten es sich sehr gemütlich gemacht während ihres Aufenthalts. Sie hinterließen leere Getränkeflaschen, Zigarettenstummel, Reste von Äpfeln aus dem Garten und noch mehr Müll. Die überaus kompetente Polizei hat, trotz unzähliger Fingerabdrücke und Spuren, kein einziges Mitglied dieser hochprofessionellen Bande schnappen können.

Vom Mondschein geblendet

Die Nachbarn haben auch nichts gesehen oder gehört. Bestimmt waren sie vom starken Mondschein geblendet. Die Polizei war der Meinung, die Diebe hätten zwei, wenn nicht drei Nächte lang das Haus geplündert. Abgesehen vom Kühlschrank, den sie anscheinend verwendet hatten, und dem schweren Boiler haben sie alle technischen Geräte mitgenommen. So wurde auch die pensionierte Bohrmaschine, von der ich nicht einmal glaube, dass sie funktionstüchtig war, Opfer des Raubs. Auf dem Schrottplatz würde die rostbefallene Bohrmaschine maximal 450 mazedonische Denar einbringen. Umgerechnet etwa sieben Euro. Warum haben sie aber die weißen Strickvorhänge aus dem Wohnzimmer oder Nägel aus dem Keller mitgenommen?

Ein Polizist war sich sicher, dass es jemand aus der Nachbarschaft gewesen sein muss. Damit hat er nur meine Befürchtungen bestätigt und die Angst bei meiner Mutter steigen lassen. Sie fühlt sich weder wohl noch sicher, allein in den eigenen vier Wänden zu schlafen. Der Gedanke, einer der Nachbarn habe uns ausgeraubt, war und ist für sie erschütternd.

Mickriges Geld

Zu wissen, dass das Akkordeon meines verstorbenen Vaters gestohlen und für mickriges Geld verkauft wurde, sorgte für viele Emotionen. Geräte können wieder gekauft werden, doch viele Erinnerungen haften nur an diesem einen einzigen Akkordeon, und dieses Akkordeon werden wir nie wiedersehen. In einem Raum zu sitzen, in dem alles auf dem Boden liegt, was einst an der Wand hing bzw. angelehnt war oder sich in einem Kasten befand, war äußerst seltsam.

Die Zimmerböden stellten eine Art von nostalgischen Mosaiken dar, die nahezu 20 Jahre Geschichte in Form von Fotos, Schulzeugnissen und alten Babyklamotten mit Zeugnissen der heutigen Konsumgesellschaft, Plastikflaschen und Plastikverpackungen der Täter, vermischten und ein Gefühl des Entsetzens auslösten. Die nackten, weiß gestrichenen Wände spiegelten die Leere in uns wider. Wirrsal. Verlorenheit. Trauer. Wut. Akzeptanz. Nüchternheit.

Nachdem wir wieder einen Herd zum Kochen starken Kaffees, einen Ventilator zur Abkühlung und eine köstliche 15-Kilo-Wassermelone gekauft hatten, setzten wir uns um den runden Plastiktisch und machten uns Gedanken darüber, wer es gewesen sein könnte. Die Nachbarn direkt links und rechts von uns kamen nicht infrage. In beiden Häusern wohnt niemand.

Den ersten Stein der Vermutung warf meine Schwester, und er fiel auf Adam. Sein Name und alle anderen Namen wurden im Sinne der Unschuldsvermutung (aber auch um der leichteren Lesbarkeit willen) durch europäische Namen ersetzt. Adam war ein früherer Schüler meines Vaters, doch das Akkordeon zu bezwingen erschien ihm eine zu herkulische Aufgabe, also wandte er sich einem glorreicheren Instrument zu: dem Synthesizer. Er war immer eifersüchtig auf meinen Vater und hat ihn um sein italienisches Akkordeon mit den edlen Verzierungen und Halterungen aus feinstem Kalbsleder beneidet. Kurz nach dem Raub hat er seinem Auto, das länger eingesperrt war als Natascha Kampusch, plötzlich eine Verjüngungskur verpasst. Äußerst verdächtig! Er konnte aber genauso schlecht fahren wie Akkordeon spielen und baute im Dezember 2012 einen Unfall. Null Tote und drei Schwerverletzte: sein Ego, das Auto und der Strommast. Gottes Gerechtigkeit?

Meine Mutter vermutete, dass Sandra dahintersteckte. Sandra ist dafür bekannt, sich an unbeaufsichtigten Möbeln zu bedienen. Als die Nachbarin links neben uns verstarb, nahm Sandra ihren Kühlschrank, ihren Teppich und ein paar andere Kleinigkeiten. Die Tochter der Nachbarin, die in Bosnien lebt, war alles andere als glücklich über Sandras Vorgehen, aber streiten wollte sie sich um einen Kühlschrank aus Titos Ära nicht. Nun, Sandra ist eine gute Freundin von meiner Mutter. Sie hat sie immer zu einem Kaffee bei ihr zu Hause eingeladen. Nach dem Raub hörten die Einladungen auf. Vielleicht hat sie etwas zu verstecken? Ihr ältester Sohn ist ein apathischer Haufen menschlicher DNA. Ihr jüngster Sohn ist im Grunde ein lieber Kerl, aber geistig sehr stark eingeschränkt. Die Therapien des Kindes kosten viel. Vielleicht hat sie dieser Umstand zu nachbarschaftlicher Kriminalität gezwungen.

Regelmäßig verprügelt

Ich persönlich bin mir ziemlich sicher, dass es Stefan gewesen sein könnte.

Stefan ist der Sohn Davids, der wiederum der beste Freund meines Vaters. Stefan hat mich in der Blütezeit meiner Kindheit zu seinem Vergnügen und meiner Erniedrigung beschimpft und angeschrien. Er war sechzehn und ich acht Jahre alt. Das waren noch die Zeiten, als es das Wort Mobbing nicht gab und mentale Erniedrigung als Tugend der vor Hormonen explodierenden Jugend galt. Schon damals lernte ich viel über Gerechtigkeit, denn meine älteste Schwester, die damals ebenfalls sechzehn Jahre alt war und im Besitz eines blauen Gürtels in Karate, hat ihn regelmä- ßig verprügelt. Ganz zu meinem Vergnügen. Ich hatte Schadenfreude erlebt, bevor ich wusste, was das heißt oder wie sie buchstabiert wird.

Stefan hat die Schule früh abgebrochen und sein Brot mit dem Autohandel verdient. Das Präfix "illegal" wird angedeutet, aber nicht angehängt, denn es gilt stets die Unschuldsvermutung. Sein Vater kam kurz nach dem Raub zu Besuch.

Er wurde zu einem militanten Vertreter der Einzelgänger-Theorie, die er erfunden hat. Er glaubte, dass irgendwer von irgendwo zufällig mit einem Lkw an meiner Wohnstraße vorbeigefahren ist und nach dem Anblick meines bescheidenen Anwesens, mit den vielen Apfelbäumen und dem ungemähten Rasen, geglaubt haben muss, eine Goldgrube gefunden zu haben. Als ob große Mengen an Äpfeln ein Indikator des Wohlstandes wären! Die Argumentation Davids war mir hochsuspekt. Er hat wahrscheinlich nur seinen Sohn schützen wollen. Meine Schwester kann nämlich immer noch Karate und hat mittlerweile einen schwarzen Gürtel, aber der ist aus Leder und von H&M.

Vielleicht war es aber der leicht spielsüchtige Bernhard? Oder doch Viktoria, die hohe Schulden hat. Oder der heroinsüchtige Peter von zehn Häusern weiter. Oder, oder, oder? Es ist ein erschreckendes Gefühl, wie eine materielle Enteignung eine Familie dazu bringen kann, das Vertrauen in die ganze Nachbarschaft zu verlieren, plötzlich das Schlechteste in ihnen zu sehen und teils absurde, sehr weit hergeholte, irrationale, nicht auf Fakten basierende Beschuldigungen zu äußern.

Wer auch immer eingebrochen ist, hat dummerweise vergessen, den Koran aufzuschlagen. Dort hätte er die wahre Belohnung gefunden. Drinnen versteckt lag ein 500-Euro-Schein, den meine Mutter dort verstaut hatte. Religiöse Bücher scheinen wie Knoblauch, Kreuz und Weihwasser der Einbrecher zu sein. Bei meinem Urlaub im Sommer des vergangenen Jahres habe ich alle Nachbarn wieder nett gegrüßt. (Muhamed Beganovic, Album, DER STANDARD, 18./19.1.2014)