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Dirigent Claudio Abbado - Meister der diskreten Impulsivität.

Foto: ap/risch

Bologna - Für seine Rückkehr an die Mailänder Scala, der Claudio Abbado fast zwei Jahrzehnte lang - auch als Chef - verbunden gewesen war, forderte er 2009 keine Gage. Vielmehr sollten die Stadtväter, so Abbados Bedingung, zur Verbesserung der Luftqualität 90.000 Bäume in die Welt setzen. Und als Abbado in Italien zum Senator auf Lebenszeit ernannt wurde, bekundete er, sein Gehalt ausschließlich für Musikerstipendien einsetzen zu wollen.

Es waren keine gönnerhaften Gesten eines eitlen Dirigenten. Abbados Verhalten spiegelte nur die Haltung eines im Grunde stillen Weltbürgers, der seine Position zeitlebens gesellschaftlich verantwortungsbewusst zu nutzen wusste. Dabei vor allem als Initiator von Projekten, als Gründerfigur im Sinne der Nachhaltigkeit: Bis in die 1970er-Jahre bemühte er sich mit Freunden, dem Komponisten Luigi Nono und dem Pianisten Maurizio Pollini, in Italien um die Verbreitung der Moderne. Er gründete eine Konzertreihe, dirigierte auch in Fabriken. Und mit der späten Neuheit, dem Orchestra Mozart, bereiste er nicht nur Konzertsäle - er musizierte auch im Gefängnis.

Abbado hatte seine eigenen Vorstellungen - auch was das Karrieretempo anbelangt: 1933 in Mailand als Sohn eines Geigers und einer Kinderbuchautorin geboren, praktizierte er zunächst Kammermusik, was seine Dirigierphilosophie prägen sollte. Später studierte er in Wien bei Hans Swarowsky (und war auch auf dem Staatsopernstehplatz zu finden). Nachdem er 1958 in Tanglewood den Kussewitzky-Preis gewonnen hatte, ging er jedoch nach Italien zurück und nahm einen Lehrauftrag für Kammermusik in Parma an.

Musikchef in Wien

In den 1960ern kam die Karriere dann ins Laufen: Abbado wurde Assistent von Leonard Bernstein, wurde von Herbert von Karajan, den er eine Art Vaterfigur nannte, nach Salzburg eingeladen und stieg schließlich zum musikalischen und künstlerischen Leiter der Scala auf, um 1979 Chefdirigent des London Symphony Orchestra zu werden. Ab 1986 dann Wien: Abbado wurde in der Direktionszeit Claus Helmut Dreses Musikdirektor der Wiener Staatsoper wie Generalmusikdirektor der Stadt Wien, was 1988 zur Gründung des wichtigen Festivals Wien Modern führte.

Die Krönung kam 1989: Die Berliner Philharmoniker wählten ihn zum Nachfolger von Herbert von Karajan. Abbado weitete das Repertoire und formte Karajans opulenten Sound in Richtung Transparenz um. Es gab zwischendurch auch Konflikte. Zum Finale seiner Berliner Zeit jedoch, die auch die Leitung der Salzburger Osterfestspiele beinhaltete, zeigten sich die Früchte der Arbeit in Form einer auf seltene Weise organischen Einheit zwischen Dirigent und Orchester, nachdem Abbado ob einer Magenkrebserkrankung pausieren hat müssen.

Späte Harmonie

Hier zeigte sich auch die Verbundenheit zu Wien: Das letzte Konzert als Chef der Berliner Philharmoniker absolvierte Abbado (der später als Gastdirigent wiederkam) im Musikverein als grandioser Mahler-Exeget. Die Beziehung zu den Wiener Philharmonikern (er dirigierte u. a. zwei Neujahrskonzerte) hingegen hatte sich längst abgekühlt: Nachdem Abbado bei den Salzburger Festspielen aus einer Opernproduktion mit der Begründung ausgestiegen war, im Wiener Orchester würde es zu viele Musikerrotationen geben, kam man nie wieder zusammen.

Nach Berlin trat Abbado leiser. Was ihn als Erfinder von Orchesterprojekten jedoch ausgezeichnet hatte, bestimmte weiterhin seine Aktivitäten: Er hatte das European Community Youth Orchestra (1978) und das Gustav Mahler Jugendorchester (1986) mitgegründet. Nun entwickelte er eben das Lucerne Festival Orchestra (2003, viele Berliner waren dabei) und schließlich auch in Bologna das Orchestra Mozart.

So blieb er der internationalen Szene erhalten - als mittlerweile gestisch sparsamer Künstler, der bei Proben als eher wortkarg galt, im Konzert jedoch immer wieder zu Intensität durch Hingabe an den Augenblick fand.

In seiner Spätphase geschah dies noch etwas subtiler: Sein kammermusikalisches Verständnis machte Abbado für die Musiker zu einer Art kollegialem Lehrer des Zuhörens, der auf Feinheiten des Klangs und der Phrasierung setzte. "Die Magie eines lebendigen musikalischen Augenblicks lässt sich nicht durch dirigentische Kommandos erzwingen. Sie ereignet sich, oder sie ereignet sich eben nicht. Das ist etwas ganz Zartes, Fragiles", meinte Abbado.

Im Dezember 2013 gastierte sein Orchestra Mozart im Musikverein, Abbado aber hatte absagen müssen. Und wiewohl ein Könner wie Bernard Haitink eingesprungen war, vermisste man an diesem Abend jene durchsichtige Zartheit, die Abbado diesem Klangkörper entlocken konnte - bei gleichzeitig nie gefühliger, eher analytischer Auffassung von Musik. Es fehlte, was von nun an für immer fehlen wird. Claudio Abbado ist am Montag 80-jährig in seiner Wohnung in Bologna gestorben. (Ljubiša Tošic, DER STANDARD, 21.1.2014)