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Die EU-Kommission will die Mitgliedsländer teilweise hinter die ­Kulissen des Freihandelsabkommens blicken lassen.

Foto: Reuters/François Lenoir

Wien – Die EU-Kommission will einen Teil des EU-USA-Freihandelsabkommens vorerst nicht verhandeln und zuerst innerhalb der EU debattieren. In einem Brief, der dem STANDARD vorliegt und der von EU-Handelskommissar Karel De Gucht an alle Wirtschafts- und Handelsminister in der EU verschickt wurde, schreibt der Kommissar, dass eine weitere öffentliche Debatte in Europa über Teile des Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) nötig sei. Dabei geht es um die Verhandlungen zu den Investitionsschutzklauseln (Investor-to-State Dispute Settlement, ISDS).

Am Dienstag bestätigte die EU-Kommission mit einer Pressemitteilung den STANDARD-Bericht. Demnach möchte der EU-Handelskommissar "die richtige Balance zwischen dem Schutz europäischer Investitionsinteressen und der Möglichkeit der Staaten im öffentlichen Interesse Regeln zu definieren" sichern. Anfang März werde dazu der gesetzliche Text zum Thema der ISDS öffentlich gemacht.

"Es ist notwendig, eine öffentliche Reflexion einzuräumen, wie die EU diese Verhandlungen angehen soll und was unsere politischen Ziele sein sollen" , schreibt De Gucht in einem Brief, der an Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner gerichtet ist. Beim informellen Treffen des Rates am 28. Februar soll das TTIP ein Schlüsselthema sein. Die EU-Kommission kann nicht alleine das Mandat zur Vertragsverhandlung verändern. Das müssen die Mitgliedsstaaten der EU machen.

Bei den umstrittenen ISDS geht es um Klauseln, die es Unternehmen erlauben, Staaten auf internationaler Ebene vor Schiedsgerichten zu klagen. Voraussetzung ist, dass sie durch die Gesetzgebung in einem Land diskriminiert und bei ihren Investitionen geschädigt wurden. Für die EU sind diese Klauseln üblich. Innerhalb der Union bestehen 1400 bilaterale Investitionsschutzklauseln.

Doch zuletzt hatte es eine Welle der Kritik von Nichtregierungsorganisation gegeben. Greenpeace kritisiert etwa das "Klagerecht für Konzerne im Hinterzimmer" . Der Fall von Philip Morris gegen den Staat Australien zeigt, dass derartige Klauseln Unternehmen auch über Briefkastenfirmen die Tür öffnen können, gegen ungelegene Regeln vorzugehen. In diesem Fall klagt eine Hongkonger Tochter des US-Tabakkonzerns gegen die Verpackungsvorschriften, die Australien bei Zigarettenverpackungen erlassen hat, und beruft sich auf die ISDS.

Auch in der EU-Kommission sieht man diesen und ähnliche Fälle kritisch. "Dieser Fall zeigt einen Missbrauch des Systems" , betonte Ignacio Garcia Bercero, EU-Chefverhandler des TTIP, am Montag. Im Gespräch mit dem STANDARD plädierte er für mehr Transparenz bei internationalen Schiedsgerichten. Das Freihandelsabkommen soll gerade hier mehr Klarheit bringen.

In dem Brief an die Wirtschaftsminister zeigt sich Handelskommissar De Gucht "zunehmend besorgt über den immer negativeren Ton"  zum Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU und insbesondere dem Investitionsschutz. Er will daher eine öffentliche Anhörung zu diesem Thema starten und fordert auch die Mitgliedsstaaten sich "proaktiv"  in die Debatte einzubringen. Dafür soll auch der zu verhandelnde Text mit den USA veröffentlicht werden, zumindest im Bereich der ISDS. Dann könnten sich alle Interessensgruppen einbringen. Drei Monate soll diese Anhörung dauern.

Erst wenn das Ergebnis der öffentlichen Debatte bekannt ist, werden die ISDS verhandelt. Eine Sprecherin des Kommissars betonte auf STANDARD-Anfrage, dass damit die Verhandlungen nur teilweise ausgesetzt werden. Zwar würden die regelmäßigen Gespräche der EU-US-Verhandler weitergehen, im Punkt der Investorenschutzklauseln werde man aber auf die neue EU-Position abwarten. Schon früher haben sich Debatten um den Freihandel am Investitionsschutz entzündet. Ende der 1990er Jahre etwa wurde das von der Organisation OECD initiierte Multilateral Agreement on Investment nach einer globalen Kampagne ad acta gelegt.

Ökonomen erwarten sich von dem TTIP wirtschaftliche Vorteile. Laut Berechnungen des Center for Economic and Policy Research soll es die Wirtschaftsleistung der EU bis 2027 um 120 Milliarden Euro erhöhen. Die weitere Verhandlung um den Investorenschutz dürfte den ambitionierten Zeitplan über den Haufen schmeißen. Aus der EU-Kommission hieß es, ein Abschluss noch 2014 sei nicht zu schaffen.

Besonders sensible Bereiche im TTIP bleiben Lebensmittel- und Ökostandards. Hier gibt es Bedenken, dass künftig US-Hormonfleisch in der EU vertrieben würde. Laut Bercero werde darüber aber gar nicht verhandelt, weil EU-Recht Hormonfleisch klar verbietet. "Beide Seiten müssen akzeptieren, dass es Bereiche gibt, die höchst unterschiedlich geregelt werden. Diese Unterschiede müssen anerkannt werden."  Überhaupt sei es nicht möglich, dass EU-Gesetze mit dem Freihandelsabkommen ausgehebelt würden. (Lukas Sustala, DER STANDARD, 21.1.2014)