Ja, Panik von links: Sebastian Janata und Andreas Spechtl mit einem darniederliegenden Stefan Pabst.

 

Foto: Yves Borgwardt für SPEX No. 350, Art Direction by Lambl / Homburger
Foto: Yves Borgwardt für SPEX No. 350, Art Direction by Lambl / Homburger

Libertatia ist ein imaginärer Ort auf Madagaskar, der möglicherweise im frühen 18. Jahrhundert von Piraten gegründet wurde. In Libertatia galten im Gegensatz zur restlichen Welt die Prinzipien Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit abseits von ideologischen oder ethnischen Barrieren. Andreas Spechtl und seinen beiden Mitstreitern Sebastian Janata und Stefan Pabst dient dies nach wortreichen Vorgängeralben wie den wuchtigen, kapitalismuskritischen Arbeiten The Angst And The Money oder DMD KIU LIDT als Ausgangspunkt, um nun den Hochglanz-Pop zu entdecken.

Die Gitarren werden auf dem neuen Album Libertatia zurückgenommen, dafür hört man klassenkämpferischen Pop, wie er in den 1980er-Jahren von britischen Vorbildern wie The Style Council, Prefab Sprout oder Scritti Politti gemacht wurde, inklusive käsiger Keyboards und Saxofonen. Bloß kein Songwritertum mehr! Die Bereitschaft zum Angriff ist allerdings erhalten geblieben, auch wenn Ja, Panik nun in Titelgeschichten deutscher Musikzeitschriften für ihren scheinbaren Optimismus gelobt werden. DER STANDARD traf den nach wie vor in einer atemberaubenden Mischung aus Deutsch und Englisch deklamierenden Andreas Spechtl, der mit der Band seit einigen Jahren in Berlin lebt, zum Interview. Es fand an einem anderen alten Sehnsuchtsort statt, in einem Wiener Kaffeehaus. Wo sonst?

STANDARD: Der Begriff Freiheit, der auf Ihrem neuen Album als utopischer Ort untersucht wird, ist dank seines inflationären Gebrauchs heutzutage eher mit Deodorantmarken wie "Revolution" oder "Anarchy" verbunden. Woher rührt das Bedürfnis, diesen ausgezehrten Begriff auf seine etwaigen heutigen Bedeutungen abzuklopfen?

Spechtl: Man muss den Begriff ernst nehmen und ihn mit seinem eigenen Leben und Zwängen in Beziehung setzen. Freiheit, Liberty, Libertatia kann als Idee durchaus noch ein unverbrauchter, aufregender Ort sein. Man muss ganz bewusst etwaige Abnutzungen außer Acht lassen und unter die Oberfläche stoßen. Freiheit beschäftigt ja trotz aller Beliebigkeit jeden.

STANDARD: Bedeutet Freiheit in Ihrem Sinne also erst einmal Befreiung von Vorgaben?

Spechtl: Bei Ja, Panik geht es um Wegbeschreibungen, nicht ums Ankommen. Interessant ist die Sehnsucht, nicht deren Einlösung. Persönliche Befreiungsmomente, das Schaffen von kurzfristigen Freiräumen, das ist es, was uns beschäftigt. Der Freiheitsbegriff ist ja nichts Statisches. Die Enttäuschung beim Ankommen wäre dann ein weiteres interessantes Feld. Das hat dann meistens etwas Abschließendes.

STANDARD: Wollen sich Ja, Panik nach den schweren Inhalten auf den Vorgängeralben nun in Zweckoptimismus üben? Gerade auch musikalisch sind die Moll-Akkorde weniger geworden.

Spechtl: Wir hatten nach dem letzten Album DMD KIU LIDT gewisse Themen durchexerziert, zum Beispiel das Schwarzmalerische, die Absage, das Apokalyptische. Das alles hatte eine derart negative Kraft, dass die Musik auf uns abgestrahlt hat: Noch schwärzer geht es ja nun nicht mehr. Was hätte als Nächstes kommen sollen - sich umbringen? Ich sehe Libertatia als ein Manifest des Weitermachens. Wie kann man sich weiterhin behaupten, ohne gleich zu sagen: Die Welt ist schön, uns geht es gut? Es ist auch ein Bekenntnis zur Musik und zu uns als Musikern. Lassen wir die großen, schweren Themen einmal weg und konzentrieren uns auf das, was wir eigentlich machen, Musik eben. Die Themen in den Texten sind trotzdem ähnlich geblieben, die Musik ist eine trotzige Flucht nach vorn. Sagen wir es so, wir haben jetzt Spaß an der Antihaltung. Wohlfühlen muss man sich deshalb noch lange nicht. Es geht darum, Haltung zu bewahren. Ein schmaler Grat. Nach dem Ausstieg von zwei Musikern stand ja auch im Raum, dass wir aufhören oder uns zumindest umbenennen.

STANDARD: In einem amerikanischen Folksong heißt es: "I am man of constant sorrow, I see trouble all the time." Der wird meist mit einem gewissen Galgenhumor, Fatalismus und fröhlicher Melodie präsentiert. Entgegen aktuellen Besprechungen sind Ja, Panik ja jetzt nicht unbedingt fröhlich geworden, sondern schon noch dieser Tradition verhaftet, oder?

Spechtl: Die Rezeption unserer Texte scheint in Absprache mit der Musik zu erfolgen. Mich wundert das alles auch. Wir sind eigentlich direkter und klarer geworden. Der hymnische Aspekt war mir schon ein Anliegen. Wie kann das zusammengehen, Optimismus aus einer schwierigen Situation heraus - aber ohne dabei Trost zu spenden?! Die Musik sollte etwas Erhebendes haben, ohne die Umstände, in der sie entstanden ist, zu negieren. Ansonsten würde man beim deutschen Schlager und bei Andrea Berg landen.

STANDARD: Man hört auf "Libertatia" Soul-Einflüsse. Soul wird gern als Wohlfühlmusik verhandelt, deren ursprünglich auch politischer Aspekt in den 1960er- und 1970er-Jahren mittlerweile völlig negiert wird.

Spechtl: Das war politische Musik, die Protesthaltung in die Disco bringen sollte. Ich habe auch viel Gay Disco aus den 1980er-Jahren gehört, Tanzen und Party mit Haltung. Das wurde geschichtlich ausradiert. Selbst YMCA von Village People war doch auch einmal eine politische Botschaft. Es geht um Selbstermächtigung. Ich habe mich auch mit weißen britischen Bands der frühen 1980er-Jahre wie Scritti Politti oder The Style Council mit Paul Weller beschäftigt. Hochglanz-Popmusik als trojanisches Pferd. Man darf nicht nur den Bekehrten predigen. Es muss auch etwas anderes in den Charts geben als unverfängliche Lieder. Allerdings tue ich mich immer schwer, wenn es didaktisch wird.

STANDARD: Will man also nicht ewig den Klischee-Dylan geben, dem Ja, Panik bis zuletzt auf dem Album "DMD KIU LIDT" viel verdanken? Die Independent-Szene ist bekanntlich vollgeräumt mit leidenden, selbstgerechten Männern mit Gitarre.

Spechtl: Der Wechsel von Blumfeld vom Protest zum Schlageresken oder Dylans Übergang von der Beschwerde zum Religiösen, das sind doch faszinierende Übergänge. Das Stammpublikum war damals entsetzt, weil da plötzlich keine klaren Aussagen mehr getroffen wurden. Wir wollten das Songwriterhafte wegkriegen und haben am Anfang der Aufnahmen auch eher Tracks und Grooves als Songs eingespielt und nicht zu viel Augenmerk auf die Texte gelegt. Dass wir junge privilegierte weiße Männer sind, die gern leiden, wird dann ja hoffentlich in den Texten trotzdem thematisiert - auch wie afroamerikanische Musik im Pop verflacht wurde. Wir haben eine Anti-Songwriter-Platte gemacht. Das war die Aufgabenstellung.

STANDARD: Insofern war es wohl auch ein ungewollter Glücksfall, dass zwei langjährige Mitglieder ausgestiegen sind. Routinen wurden dadurch beendet.

Spechtl: Dadurch konnten wir raus aus dem Trott. Wir haben uns nach zehn Jahren verändern müssen, weil die Ausgangssituation sowieso eine andere war.

STANDARD: Ja, Panik werden spätestens seit ihrem Umzug nach Berlin im gesamten deutschen Sprachraum euphorisch rezipiert. Schlägt sich das auch auf die ökonomische Situation nieder?

Spechtl: Sagen wir es so: Es geht. Man braucht sich aber nichts vormachen. Alles findet nur in Deutschland und Österreich statt. Das ist einfach so. Allerdings haben wir die letzten zwei Jahre kaum live gespielt und viel Geld ins neue Album gesteckt. Finanziell ist es gerade hart. Die Einkünfte aus Plattenverkäufen decken heutzutage höchstens noch die Produktionskosten. Wir brauchen also die kommende Tournee ganz dringend. Wir leben von Musik, aber das ist eine harte Entscheidung. Wir besitzen keine Eigentumswohnungen und keine Autos, der Lebensstandard ist niedrig.

STANDARD: Die wenigsten Bands machen sich über wirtschaftliche Belange Gedanken. Nach zehn Jahren Selbstausbeutung ist aber Tourgitarrist bei Steffi Werger auch keine Option, oder?

Spechtl: Nein, ist es nicht. Die Steffi Werger habe ich gerade im Fernsehen gesehen. Die sitzt in der Jury dieser Castingshow, Herz von Österreich, oder? Die haben übrigens angefragt, ob wir mitmachen wollen. Heilige Mutter Gottes, es geht immer noch tiefer. Bei großen Festivals wie Frequency hätten wir auch schon spielen können. Um eins am Nachmittag, wahrscheinlich auf der Open Stage für junge Talente. Leckt uns am Arsch! In Deutschland läuft es besser. Ich bedanke mich dafür sehr herzlich. (Christian Schachinger, Rondo, DER STANDARD, 24.1.2014)