Mit den neuen Gesetzen zur ­Einschränkung der Versammlungs-, Rede- und Meinungsfreiheit habe die ukrainische Staatsmacht die rote Linie zwischen einem halbautoritären Regime und einer echten Diktatur überschritten. Das erklärte das ukrainische Zentrum des internationalen Schriftstellerverbands PEN am Donnerstag. Unterzeichner sind Präsident Miroslaw Marinowitsch sowie dessen Stellvertreter Mykola Riabtschuk und Andrej Kurkow.

Marinowitsch ist Direktor der katholischen Universität in Lwiw (Lemberg), der "Hauptstadt" der Westukraine; Riabtschuk, Schriftsteller und Journalist in Kiew, arbeitet gerade wieder am Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM); und Andrej Kurkow ist einer der auch im Westen bekanntesten ukrainischen Schriftsteller – geboren in Russland. 

So unterschiedlich die drei in Herkunft und Weltanschauung sein mögen, gemeinsam ist ihnen das Bekenntnis zu einer europäischen Ukraine. Dieses Bekenntnis teilen sie, wie Umfragen immer wieder zeigen, mit einer Mehrheit ihrer Landsleute selbst im eher prorussischen Osten und Süden der Ukraine. Nach den jüngsten blutigen Ereignissen in Kiew fordern nun nicht nur Intellektuelle wie Marinowitsch und Co westliche Sanktionen gegen Mitglieder des Regimes von Präsident Wiktor Janukowitsch.

Klar ist: Mit der Abkehr von der fertig ausverhandelten EU-Assoziierung hat Janukowitsch sein Volk betrogen, nachdem er zuvor selbst die europäische Integration zur außenpolitischen Priorität erklärt hatte. Gerade ihm mit seinen guten Verbindungen zu Moskau muss bewusst gewesen sein, dass Russland massiven Widerstand leisten würde. Janukowitsch hat entweder von Anfang an falsch gespielt oder die Lage schlicht falsch eingeschätzt. Beides disqualifiziert ihn für sein Amt. Mit den repressiven Gesetzen, die das Land an den Rand des Bürgerkriegs geführt haben, hat er den allerletzten Kredit verspielt.

Die USA haben bereits begonnen, Visum-Sanktionen gegen ukrainische Regierungsvertreter zu verhängen. Die EU überlegt Ähnliches. Als "sanfte Macht" schickt sie zunächst einmal hochrangige Vermittler nach Kiew. Verschließt sich Janukowitsch einem Kompromiss mit der Opposition, sind Sanktionen wohl unumgänglich. Können sie aber tatsächlich etwas zum Positiven ändern? Das Beispiel Iran spricht zumindest nicht dagegen. Im Fall der Ukraine kommt hinzu, dass viele Politiker, Spitzenbeamte und  systemvernetzte Oligarchen Vermögen im Westen geparkt haben und dort auch ihre Kinder studieren lassen. Kontensperren und Reisebeschränkungen würden sie empfindlich treffen. Zugleich müssen Visa für "normale" ukrainische Bürger, für Studenten, Wissenschafter, Kleinunternehmer etc. erleichtert werden.

Natürlich können solche Maßnahmen nur Teil einer angemessenen Reaktion sein. Immerhin wären sie ein Signal, dass Europa seine Werte ernst nimmt und die Mehrheit der Ukrainer, die nach diesen Werten leben wollen, nicht im Stich lässt.

Gleichzeitig aber muss die EU ihre Ost-Strategie grundlegend überdenken. Ob es einem gefällt oder nicht: Ohne Einbindung Russlands, das zeigt sich erneut drastisch, ist in der Ukraine wenig zu bewirken. Europa muss gegenüber Moskau noch weit stärker als bisher auf Überzeugungsarbeit setzen; nicht arrogant, aber prinzipienfest – und mit Geduld. Auch der Putinismus hat ein Ablaufdatum.  (Josef Kirchengast, DER STANDARD, 24.1.2014)