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Spiegelbid einer ehemaligen Residenzstadt: Die Nikolaikirche und das Glasdach des Brandenburger Landtags im Potsdamer Stadtschloss.

Foto: APA/EPA/Ralf Hirschberger

Berlin baut noch daran, Potsdam hat es schon wieder: sein Stadtschloss. In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs wurde es von Bomben, die für den Hauptbahnhof bestimmt waren, beschädigt, aber nicht vollständig zerstört.

Erst 1960 gab die SED den Befehl zur Sprengung, seither klaffte im Herzen der ehemaligen Residenzstadt eine offene städtebauliche Wunde. Kurz vor dem Mauerfall sollte hier noch ein gigantomanisches Theaterprojekt - ein wenig im Stil eines Atomkraftwerks - realisiert werden. Nach der Wende wurde der Rohbau allerdings sofort gestoppt und abgerissen.

Altrosa Anstrich, neue Namen

Die Diskussionen über die Zukunft des Standorts wogten seitdem hin und her. Schließlich setzten sich - nicht zuletzt durch insistierende Bürgerinitiativen und eine Millionenspende des Software-Milliardärs Hasso Plattner - die Befürworter einer Rekonstruktion durch. Originalnahe wiederhergestellt wurden allerdings nur die Kubatur und die Fassade. In das von Architekt Peter Kulka deutlich spartanischer gestaltete Innere zog der Landtag des Landes Brandenburg ein.

Bei der Eröffnung am 21. Jänner 2014 war selbst von eingefleischten Gegnern jeglicher "Disney-Architektur" zu vernehmen: "Gut, dass es jetzt steht!" Manche bemäkelten zwar das zu scharfe Altrosa des Anstrichs, andere wiederum diskutierten heftig darüber, wie denn das wiederauferstandene Ding nun zu nennen wäre: Stadtschloss, Ehemaliges Stadtschloss, Landtag, Neuer Landtag oder gar Landtagsschloss. In weiser Voraussicht hat man auf die Westmauer in Anlehnung an das berühmte Zitat von René Magritte den selbstironischen Slogan "Ceci n'est pas un château" - "Dies ist kein Schloss" geschrieben.

Auffällig einhellig war der Stolz auf das Erreichte: Nicht nur hatte man ein Großvorhaben der Republik ausnahmsweise einmal zeitgerecht und ohne Kostenüberschreitung zu Ende gebracht, sondern es denen in der Hauptstadt so richtig gezeigt. Denn die Potsdamer, und das soll man nicht unterschätzen, fühlen sich von der Geschichte ein wenig stiefmütterlich behandelt. Ihre Stadt kommt in Reiseführern maximal als Anhang zu Berlin vor, wird oft sogar falsch geschrieben - etwa "Potzdamm" - und, was noch schlimmer ist, manchmal als "Vorort" der Kapitale bezeichnet. Eine tödliche Beleidigung.

Kaff mit Kasernen, upgegradet

Schließlich war Potsdam bis in die 1920er-Jahre größer als Kern- Berlin. Und als eigentliche Residenzstadt der preußischen Könige und deutschen Kaiser viel wichtiger. Die Hohenzollern haben jedenfalls - das wird oft übersehen - Berlin nie geliebt, und auch nie dort gelebt. Potsdam war ihr Wohnsitz, ihr Lebensmittelpunkt.

Im gut gestalteten Potsdam-Museum gleich neben dem "Landtagsschloss" kann man sich einen ersten Überblick über die Stadtentwicklung verschaffen. Einst ein Kaff mit Kasernen, wurde es erst unter Friedrich II. upgegradet. Der zwang die Einwohner, ihre Holzhäuser mit mächtigen Steinfassaden zu versehen. Aus diesem Grund entdeckt man bis zum heutigen Tag beim Betreten von Innenhöfen im Zentrum Fachwerkhäuser - gut versteckt hinter der steinernen Straßenfront.

Schnell zur Beschaulichkeit

Abgesehen von der Gegend um den Alten Markt ist Potsdam zwar nicht von realsozialistischer Verschandelung und Vernachlässigung verschont geblieben, aber doch von allzu massiver Kriegszerstörung. Das macht einen Gutteil seines heutigen Reizes aus. Geringe Bauhöhen, viele kleine Geschäfte, Ruhe und Beschaulichkeit liegen nur 19 Schnellbahnminuten von Berlin-Mitte entfernt.

Kein Wunder also, dass sich das Residenzstädtchen nach der Wende rasch zum beliebten Zuzugsort entwickelt hat. Aus allen Teilen Deutschlands kamen Menschen, und aus allen sozialen Schichten - vom Studenten bis zum Millionär. Mittlerweile gilt Potsdam wieder als die kleine, aber feinere Schwester Berlins. Und wüsste man es nicht besser: In diesem infrastrukturell bestens ausgestatteten Beinahe-Idyll deutet kaum etwas auf die unmittelbare Nachbarschaft zu einer Großstadt hin.

Ein Muss für jeden Potsdam-Besucher ist natürlich die Besichtigung des Schlosses Sanssouci. Man nehme sich aber gefälligst ausreichend Zeit dafür, am besten einen ganzen Tag. Denn das "Arkadien des Alten Fritz" ist nicht nur von überwältigender Schönheit, sondern auch von großer Weitläufigkeit. 

"Ordentlicher Hatscher"

Die Distanzen zwischen den einzelnen Attraktionen - Orangerie, Gemäldegalerie, Neues Palais, Friedenstempel, Chinesischer Pavillon oder Windmühle - versprechen einen "ordentlichen Hatscher". Und da Potsdam samt seiner Umgebung bekanntermaßen Herzensort vieler Friedriche, Wilhelme und Friedrich-Wilhelme war, ist Sanssouci hier zwar bestimmt das schönste und größte, nicht aber das einzige Schloss.

Keinesfalls verabsäumen sollte man unter so zahlreichen herrschaftlichen Optionen wie Charlottenhof, Babelsberg, Glienicke oder Caputh das Schloss Cecilienhof. Nicht nur seiner bukolischen Lage wegen und seiner äußerst eigenartigen Architektur: Es ist ein gigantisches Cottage im Stratford-on-Avon-Stil, allerdings mitten in Brandenburg; auch wegen seiner unfreiwillig welthistorischen Bedeutung als Tagungsort der Potsdamer Konferenz zwischen Stalin, Truman und Churchill. 

Bedrückende Atmosphäre

Das Inventar, sprich diverse Sekretäre und der ziemlich klobige Konferenztisch - bloß wo sind die drei Korbsessel, in denen das berühmte Foto gemacht wurde? -, ist fast voll vollständig erhalten. Aber halt ebenso die dazugehörige bedrückende Atmosphäre.

Eine Fahrt rund um den Heiligen See beruhigt das historisch aufgewühlte Gemüt wieder. Tiefer Frieden geht von diesem schilfbestandenen Gewässer aus - und natürlich der blanke Neid.

Glückskinder wie Springer-Chef Mathias Döpfner, Designer Wolfgang Joop oder Deutschlands beliebtester Moderator Günther Jauch - den man hie und da zu seinem Unglück durchs straßenseitige Fenster in der Wohnküche sitzen sieht - siedeln an diesen Gestaden. Wobei der einfache Bürger und somit auch der einfache Tourist - das ist das Erstaunliche - immer noch an genügend Stellen freien Zugang zum See vorfindet: zum Nacktbaden, denn das ist hier Sitte.

Metropolis und Keinohrhasen

Ein Villenviertel mit interessanterem Hintergrund befindet sich an den Ufern des Griebnitzsees. Zuerst siedelten sich hier bloß Industrielle an, die dem Kaiser nah sein wollten, später aber die Filmstars. Sie suchten die Nähe der Ufa-Studios Babelsberg, und was wäre Potsdam letztlich ohne den Film. Tausende Streifen wurden im Lauf der Jahrzehnte in und um Potsdam gedreht - von Metropolis bis Keinohrhasen, von Die Drei von der Tankstelle bis hin zu Operation Walküre.

Eine durchaus lohnende Möglichkeit, um einen vagen Eindruck von der engen Verbindung zwischen dem Medium und der Stadt zu bekommen, bietet hier die sogenannte Videofilmbustour. Man wird dabei wie in einem Hop-on-Hop-off-Bus von Station zu Station gekarrt, nur sind das halt Drehorte berühmter Filme.

Auf Monitoren im Bus sieht man Ausschnitte der dazugehörigen Filme. Manche "Kulissen", also Bauwerke, gibt es längst nicht mehr - die Kanaloper oder das Stadttor an der Breiten Straße - manch andere gibt es jetzt wieder: das Stadtschloss etwa. (Robert Quitta, Album, DER STANDARD, 25.1.2014)