Der Herr rechts ist vermutlich die Zukunft der ÖVP. Und der Herr links vielleicht bald in Brüssel.

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Nach dem schwachen Start der neuen Regierung und den internen Turbulenzen in der ÖVP scheint bei Rot-Schwarz wieder etwas Ruhe eingekehrt zu sein. Aber der Schein trügt. Hinter den Kulissen wird bei den Schwarzen weitergeflüstert, wie es in einigen Monaten weitergehen könnte, wenn sich der Absturz der Volkspartei in der Wählergunst verfestigt.

Dreh- und Angelpunkt wird dabei ausgerechnet Europa sein, die Wahl zum EU-Parlament Mitte Mai, und nicht innenpolitischer Streit: Sollte die ÖVP tatsächlich auf Platz drei hinter SPÖ und FPÖ zurückfallen (und zwei von sechs Mandaten verlieren), dann sei alles offen; dann werde die Obmanndebatte um Michael Spindelegger wieder auf den Tisch kommen – so oder so.

Spindeleggers Retter

Umfragen zeigen im Moment ein Minus von zehn Prozentpunkten, die ÖVP könnte von 30 auf 20 Prozent fallen. Für den Spitzenkandidaten Othmar Karas ist das eine beinahe aussichtslose Ausgangslage, wobei er sich mit seinen Namensinitialen "Europa ist OK" dennoch schon mit Feuereifer in den Wahlkampf gestürzt hat. Dass ausgerechnet Karas jetzt Spindeleggers Karriere retten soll, ist eine echte Pointe der Politikgeschichte.

Der VP-Chef hat den Europapolitiker, der 2009 mit mehr als 100.000 Vorzugstimmen einen Rekord aufstellte und wie er selbst ÖAABler und aus Niederösterreich ist, nie gemocht und ihn seit Jahren "geschnitten". Als Karas sich vor zwei Jahren als Wiener Landesparteichef anbot, ließ Spindelegger ihn auflaufen und machte den (bis heute) farblosen Manfred Juraczka zum Chef der ÖVP in Wien. Die muss 2015 gegen die Neos wohl um Platz fünf kämpfen.

Eine Zukunft ohne Spindelegger

Zurück zu Europa. Nach Neo-Außenminister Sebastian Kurz hat nun auch Spindelegger als Finanzminister in Brüssel seinen Antrittsbesuch absolviert. Dabei hat sich ein klares Bild ergeben, das die VP-internen Gedankenspiele vieler Funktionäre vor allem in Westen und im Süden umtreibt: Spindelegger ist in der ÖVP Vergangenheit und Gegenwart. Die Zukunft heißt vermutlich Kurz. Spindelegger präsentierte sich einerseits als solider politischer Profi, dem es aber doch an Strahlkraft und guter Rhetorik fehlt. Andererseits fällt am Vizekanzler etwas anderes stark auf: Er fühlt sich in seiner internationalen Rolle sichtlich wohler als im innenpolitischen Gefecht, wo er sich als Parteichef vor allem mit den vielen Einzelinteressen, den streitenden Funktionären, Bünden und Ländern herumplagen muss. Mit Blick in die Vergangenheit kann man das fast punktgenau fixieren, was den Unterschied macht.

Solange Spindelegger nur Außenminister war, trat er relativ locker auf. Der Job machte ihm sichtlich Spaß. Er sagte selber einmal, das sei seine schönste Zeit in der Politik gewesen. Ab dem Moment, als er nach dem Blitzrücktritt von Josef Pröll im Frühjahr 2011 Parteichef wurde, änderte sich das. Spindelegger fuhr nun viel seltener zu EU-Terminen, verlor die Entspanntheit auch auf der internationalen Bühne. Er schien überfordert. Bis heute.

"Ich bin kein Star, holt mich hier raus"

Sein Eingeständnis vieler eigener Fehler in jüngster Vergangenheit und der Ausruf bei der ÖVP-Klubklausur, seine Parteifreunde sollten mit ihm den "Resetknopf drücken“, einen neuen Anfang wagen, konnte man als Hilferuf im Dschungel der Innenpolitik deuten: "Ich bin kein Star, bitte holt mich hier raus!"

Ganz anders Kurz. Der 27-Jährige ist ein außenpolitischer Anfänger, ohne entsprechende Ausbildung und Erfahrung. Viele Beobachter – mich eingeschlossen – waren gespannt, wie er sich bei der Premiere in Brüssel verhalten würde, ob er da gleich einmal undisponiert auffällt.

Ergebnis: Kurz legte grosso modo einen guten Auftritt hin, nicht nur bei den EU-Außenministern, denen er sich gleich einmal als klarer und unbedingter Vertreter der EU-Erweiterung am Westbalkan empfahl. Er lud zum Einstand auch zu einem Empfang in der Ständigen Vertretung, um die in Brüssel arbeitenden Österreicher kennenzulernen. Gut hundert Leute kamen, um den Neuen zu "begutachten".

Pressefoyer mit Kurz und Faymann

Vor allem: Kurz scheint das zu haben, was Spindelegger (und viele andere Spitzenpolitiker) nicht hat, was man auch nur schwer lernen kann: Ausstrahlung. Er zieht Leute an, die Blicke richten sich auf ihn, wenn er den Raum betritt. Das ist – wie in der Schauspielerei – ein Talent, das auch in der Politik einiges erleichtert. Es wird interessant sein, wie es auf die österreichische Öffentlichkeit wirkt, wenn Kurz in ein paar Wochen nach dem Ministerrat beim Pressefoyer neben Bundeskanzler Werner Faymann auftritt. Die Koalitionäre haben ja ausgemacht, dass die jeweiligen "Spiegelminister" von SP und VP gemeinsam auftreten in Zukunft. Bei Europa- und Außenpolitik sind das eben Faymann und Außenminister Kurz, nicht mehr Vizekanzler Spindelegger.

Auch das ist also eine Profilierungsmöglichkeit für den jungen Kurz, der von Typ und Talent her frappant an den jungen Karl-Heinz Grasser erinnert, lange bevor er Finanzminister wurde und seinen Ruf im Macht/Korruptionsstrudel von Schwarz-Blau verspielte.

Kurz' offene Türe

In Brüssel zeigte sich Kurz jedenfalls als geradezu wird entschlossen, in möglichst kurzer Zeit das Europa- und Außenpolitikgeschäft zu lernen. Er spricht sehr gut Englisch. Ganz seiner Generation entsprechend kommuniziert er auf direktem Wege, auch auf Twitter, betonte, dass bei ihm nicht Etikette, sondern die offene Tür praktiziert wird. Das kommt gut an bei den Mitarbeitern. Außerdem hat sich Kurz mit Alexander Schallenberg als engsten Stabsmann einen der besten Europakenner des Außenamts ins Kabinett geholt. Der verzichtete dafür sogar auf einen Posten als Sektionschef. Fazit: Der Außenminister scheint gut aufgestellt, dürfte – anders als Grasser – auch bescheidener sein, ohne Fimmel für Geld und Glamour.

All diese Dispositionen von Spindelegger und Kurz könnten schon in wenigen Monaten nach den EU-Wahlen ganz handfeste politische Folgen haben, heißt es auch in der ÖVP hinter vorgehaltener Hand. Nach den EU-Wahlen wird nicht nur das Europaparlament neu konstituiert, sondern Ende des Jahres auch die EU-Kommission. Österreich wird also auch einen neuen Kandidaten für die Kommission nominieren müssen. Dem Vernehmen nach soll am Rande des Regierungspakts zwischen Faymann und Spindelegger vereinbart worden sein, dass dieser Posten wieder der ÖVP VzufälltV, und man hat sich nach STANDARD-Informationen auch darauf verständigt, dass Johannes Hahn bleiben könne.

Potenzieller EU-Kommissar

Mit einer völlig verlorenen EU-Wahl tut sich aber in der ÖVP eine andere Variante auf: Spindelegger könnte seine österreichischen Ämter aufgeben und selber als EU-Kommissar nach Brüssel gehen. Als früherer Außen- und Finanzminister, Parteichef und Vizekanzler hätte er – mehr als Hahn – alle Chancen auf einen wirklichen Spitzenposten in der EU-Kommission, möglicherweise sogar als einer der Vizepräsidenten. Denn im "Europageschäft" zählt neben der Parteizugehörigkeit vor allem eines als Atout: langjährige internationale Erfahrung.

Genau das wird Spindelegger, der im Kreis der europäischen Partei- und Regierungschefs derzeit die wichtigsten Personalagenden der Union für die nächsten Jahre bespricht, auch in Österreich niemand abstreiten. Ich würde sogar behaupten, dass sich der Typ Sachpolitiker Spindelegger als EU-Kommissar leichter täte als als Minister in Wien.

Modernes Familienleben

Die ganze Sache hat sogar auch noch einen privaten Hintergrund, der das begünstigen würde: Spindeleggers Frau Margit ist EU-Beamtin. Sie hat – ohne ihn – in den 1990er-Jahren im Europäischen Rechnungshof eine Spitzenkarriere hingelegt, zuletzt als Kabinettschefin im Präsidium. Was nur wenige wissen: Die Spindeleggers haben seit ihrer Hochzeit ein deutlich moderneres Familienleben hingelegt, als viele sich vorstellen können.

Sie machte Karriere in Luxemburg, als Teilzeitalleinerzieherin für zwei Söhne, die in eine internationale Ganztagsschule gingen. Er pendelte - damals Nationalratsabgeordneter – zwischen Wien und Luxemburg. Als ihr Mann VP-Chef wurde, steckte sie ihre Karriere für ihn zurück: Sie ließ sich in den nationalen Rechnungshof nach Wien versetzen, was kein Problem, aber zeitlich begrenzt ist. Die Versetzung lief mit Jahreswechsel aus. Frau Spindelegger muss daher entscheiden, ob sie als EU-Spitzenbeamtin in Luxemburg weitermacht oder den Job überhaupt aufgibt. Für den Vizekanzler persönlich wäre sein Wechsel nach Brüssel vermutlich überhaupt kein Drama, im Gegenteil. Brüssel und Luxemburg sind 200 Kilometer voneinander entfernt.

Auslaufmodell

Dass er jemals Bundeskanzler wird, Wahlen gewinnen kann, davon geht kaum noch jemand aus. Spindelegger als ÖVP-Chef ist ein Auslaufmodell. Was uns wiederum zu Kurz führt. Dieser wird derzeit als nächster Spitzenkandidat der ÖVP bei den Nationalratswahlen 2018 intern hoch gehandelt. Wobei klar ist, "dass der Sebastian noch ein paar Jahre braucht", wie es einer ausdrückt. Der Neo-Außenminister soll nicht sofort ÖVP-Chef werden, sollte Spindelegger tatsächlich im Herbst abtreten.

Eine Art "Übergangsparteichef" müsste also her, der dann aber nicht als Spitzenkandidat um die Kanzlerschaft kämpfen soll, sondern der Kurz den Weg an die Spitze bereiten müsste. Auch dafür werden bereits Namen gehandelt: Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer wäre eine Möglichkeit. Er könnte der  Partei gleichzeitig eine inhaltliche Modernisierung verpassen, regiert er in seinem Bundesland doch mit den Grünen,  ist ein Anhänger eines moderneren Schulsystems.

Die offene Frage ist, was dann mit Hahn passiert. Der EU-Kommissar der ÖVP müsste nach Wien zurückkehren, er könnte aber zum Beispiel auch ins Europaparlament wechseln. Man wird erkennen können, wenn die Schwarzen ihre Liste für die EU-Wahlen definitiv fixieren, wofür noch Zeit ist – ob Hahn auf dieser Liste aufscheint. Das wäre nichts Ungewöhnliches. Es gibt ein paar Länder, in denen Kommissare bei EU-Wahlen kandidieren, um sich zusätzliche Legitimation vom Wähler zu holen. Justizkommissarin Viviane Reding etwa macht das seit fünfzehn Jahren. (Thomas Mayer, derStandard.at, 28.1.2014)