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Alev Korun: "Zu arm für die Staatsbürgerschaft".

Foto: APA/Fohringer

Z. lernte ich vor ein paar Jahren kennen. Er wurde in den 1990ern in Tirol geboren und wuchs dort auf. In seinem Leben hat er noch nie bei Wahlen seine Stimme abgeben dürfen. Der junge Tiroler, der noch nie woanders gelebt hat, gilt nämlich als "Ausländer".

Weil seine alleinerziehende Mutter zwar seit mehr als 20 Jahren hier leben darf, aber nach unserem Staatsbürgerschaftsgesetz nicht "genug" verdient, um eingebürgert zu werden, hieß es für die Familie jahrelang: kein österreichischer Pass.

Als Kind und Jugendlicher galt für Z.: mitgehangen, mitgefangen. Als junger Erwachsener könnte er zwar allein die Einbürgerung beantragen, aber da fällt ihm sein Wille, sich weiterzubilden, auf den Kopf: Jetzt als Student verdient er "zu wenig", um den österreichischen Pass zu bekommen.

Deutschland geht da seit dem Jahr 2000 einen anderen Weg. Mit dem Argument, wir wollen nicht über Generationen Ausländer produzieren, die das Ausland noch nie gesehen haben, wagte man eine Trendwende und beschloss: Wer in Deutschland geboren ist und von Eltern abstammt, die schon jahrelang rechtmäßig in Deutschland leben, ist Deutscher.

40 Jahre nach Beginn der "Gastarbeiter"-Anwerbung hatte die deutsche Politik begriffen, dass die Enkel und Urenkel dieser Arbeitskräfte keine "Gäste" mehr, sondern einheimisch geworden sind. Ja, das war ein mutiger Schritt. Er hat das Staatsbürger(schafts)verständnis modernisiert und den Lebensrealitäten des Einwanderungslandes Deutschland angepasst. Vor allem aber hat er den betroffenen Kindern und Jugendlichen ganz klar gesagt: Ihr gehört zu uns, ihr gehört hierher! Ein besseres Signal der Eingemeindung gibt es nicht, als Kindern zu sagen: Ja, das ist (auch) deine Heimat.

Nun geht Deutschland einen Schritt weiter: CDU/CSU und die SPD haben vereinbart, dass der "Optionszwang" für die betroffenen Jugendlichen - sich zwischen 18 und 23 Jahren zwischen der deutschen Staatsbürgerschaft und der der Eltern entscheiden zu müssen - wegfällt. Dazu sagt CSU-Chef Horst Seehofer, der nicht gerade als linksradikal verschrien ist: "Ich frage mich, ob es noch Sinn macht, die jungen Leute zwischen 18 und 23 Jahren durch diese Zerreißprobe zu jagen."

Bei uns kommen jährlich rund 10.000 Kinder im Inland als "Ausländer" auf die Welt. Nicht nur rein sprachlich ein Widerspruch. Ein Ausländer, der nicht aus dem Ausland kommt, sondern von da ist, wie gibt es das? Noch dazu stammen die meisten dieser Kinder von Eltern ab, die seit Jahren oder Jahrzehnten rechtmäßig in Österreich niedergelassen sind: Mindestens ein Drittel der jährlich Eingebürgerten ist bereits hier geboren, Tendenz steigend (2012 waren es bereits 36 Prozent).

Aus hier geborenen Kindern machen wir zuerst "Ausländer", um sie dann in langen, teuren und bürokratischen Verfahren wieder einzubürgern. Wie wäre es, wenn wir ihnen von Anfang an sagen, dass sie hierhergehören?

Ja, wollt ihr auch Kinder von Touristen einbürgern, fragt mancher. Nein, wollen wir nicht. Die Grünen schlagen vor, dass Kinder als Doppelstaatsbürger auf die Welt kommen, wenn die Eltern seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig in Österreich leben und auf Dauer niedergelassen sind.

Bei der Abwehr einer solchen Integrationsmaßnahme greift unsere Regierung gerne auf ein aus 1963 stammendes Abkommen zur Vermeidung von Doppelstaatsbürgerschaft zurück. Sie verschweigt dabei, dass laut Abkommen nicht die Doppelstaatsbürgerschaft an sich unzulässig ist, sondern nur jene unter den - bei diesem Punkt auf vier geschrumpften - Unterzeichnerstaaten: die Niederlande, Norwegen, Dänemark und Österreich. Viele Länder haben das Abkommen inzwischen verlassen - genau aus dem obgenannten Grund. Unsere Regierung sollte folgen. Für hoffentlich konstruktive Debatten dazu haben wir ab heute, Mittwoch, im Parlament Gelegenheit. Da ist Antrag auf Doppelstaatsbürgerschaft nicht nur für Arnold Schwarzenegger auf der Tagesordnung. (Alev Korun, DER STANDARD, 29.1.2014)