Viel braucht es nicht, um herauszufinden, ob der Nachbar, Chef oder Kollege vorbestraft ist. Mit Namen und Sozialversicherungsnummer lässt sich für neun Euro der ganze Strafakt kaufen. F.: Screenshot lexbase.se

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Eine brandneue Website sorgt in Schweden für Furore: Mit ein paar Mausklicks kann man erfragen, ob der Nachbar ein verurteilter Dieb, Schläger oder gar Kinderschänder ist. Um das Strafregister einer Person aufzurufen, muss man lediglich deren Namen oder Sozialversicherungsnummer eingeben. Darüber hinaus bietet die Seite Lexbase.se einen geografischen Gesamtüberblick in Sachen Kriminalität - über eine Kartenfunktion wird angezeigt, wo im Land Verurteilte leben.

Wer es ganz genau wissen will, muss allerdings einen Obolus entrichten. Für 79 Kronen, umgerechnet knapp neun Euro, erhält man detaillierte Informationen über die Art des jeweiligen Verbrechens und das Strafmaß. Die Geschäftsidee scheint aussichtsreich: Seit dem Start am Montag kam Lexbase ob der Flut von Zugriffen bereits mehrfach zum Erliegen.

Lichtscheuer Herausgeber

"Sie bekommen Zugang zu Millionen Gerichtsdokumenten", lockt die Website. "Das Register wird täglich aktualisiert." Mit lichtscheuen Aktivitäten hat Herausgeber Jonas Häger offenbar selbst gediegene Erfahrungen. Nach Recherchen der Zeitung Dagens Nyheter war der 26-Jährige bis vor kurzem mit einer Reihe von Firmen verbandelt, deren Teilhaber wegen zum Teil schwerer Verbrechen verurteilt sind.

Für Kontakte mit der Presse schickt Häger denn auch lieber seinen Kompagnon Pontus Ljunggren vor. Der weist Vorwürfe zurück, die Seite öffne einer Lynchjustiz Tür und Tor. "Wir stellen niemanden an den Pranger", so Ljunggren gegenüber Aftonbladet. "Wir veröffentlichen lediglich ein Urteil, das bereits verhängt worden ist - für eine Tat, die der Betroffene nun einmal begangen hat."

"Entsetzlich und zynisch"

Inzwischen haben mehrere Betroffene die Seite verklagt - ein Unterfangen, das allerdings wenig Erfolg verspricht, trotz einhelliger Empörung bei Rechtsexperten, wie beispielsweise der Generalsekretärin des Anwaltsverbandes, Anne Ramberg, die Lexbase "entsetzlich und zynisch" nennt. Nach schwedischem Recht ist gegen die von der Website betriebene virtuelle Hatz auf Verurteilte nämlich nichts einzuwenden.

"Uns sind die Hände gebunden", konstatiert Kristina Svahn Starrsjö, Generaldirektorin der staatlichen Dateninspektion, in Dagens Nyheter. "So gern wir es auch täten - wir können gegen die Website nichts unternehmen."

Zugang zu öffentlichen Dokumenten

Das Zauberwort in diesem Zusammenhang lautet Öffentlichkeitsprinzip. Die seit mehr als zwei Jahrhunderten geltende schwedische Praxis gewährt jedem Bürger Zugang zu öffentlichen Dokumenten. Leicht zu erfahren ist für jedermann beispielsweise, wie viel Steuern der Nachbar zahlt und welche Schulden er hat oder was das jüngste Empfangsdinner im Außenministerium kostete.

Dem Öffentlichkeitsprinzip entgegen steht allerdings das Gesetz zum Schutz persönlicher Angaben, das die Publikation sensibler Daten im Internet verhindern soll. Es zu umgehen, ist aber ein Kinderspiel: Laut der Generaldirektorin der Dateninspektion kann sich nämlich "im Prinzip jeder für welchen Zweck auch immer" beim Amt für Fernsehen und Rundfunk besorgen, womit Lexbase nun auftrumpft - eine sogenannte Herausgeber-Bescheinigung. Dieses Papier zum Preis von 230 Euro stellt den Inhaber als Herausgeber unter den Schutz der grundgesetzlich verankerten, weitreichenden Pressefreiheit, die ihrerseits den Personenschutz aushebeln kann. Das Grundgesetz müsse deshalb "dringend geändert werden", fordert nun Kristina Svahn Starrsjö.

Seite bleibt online

Für eine solche Änderung sind zwei Parlamentsbeschlüsse mit einer dazwischenliegenden Wahl erforderlich. Die nächste schwedische Reichstagswahl findet im September dieses Jahres statt. Selbst bei zügigen Bemühungen für eine Änderung des Grundgesetzes kann die neue Seite demnach laut Svahn Starrsjö noch mindestens fünf Jahre überleben. (Anne Rentzsch aus Stockholm, DER STANDARD, 29.1.2014)